„Für mich ist es ein Traumberuf“: Drei Fragen an Jens Klingebiel

Drei Fragen an Jens Klingebiel:

1.

Herr Klingebiel, Sie haben viele Jahre in der Welt der Finanzdienstleistung gearbeitet. Was hat Sie dazu gebracht, den damaligen Beruf an den Nagel zu hängen und Tierfilmer zu werden?

Das ist eine sehr gute Frage, Herr Behrens. Ich muss für die Beantwortung etwas ausholen.
Schon als kleiner Junge, bin ich mit meiner Pocketkamera bewaffnet, früh morgens allein durch die Wälder gelaufen und habe versucht, Tiere zu fotografieren. Wie man sich vorstellen kann, waren dies eher Suchbilder. Allerdings ist das Interesse an der Natur und den Tieren schon seit frühster Kindheit vorhanden. Ich habe schon als Kind, reihenweise Tiere mit nach Haus gebracht. Habe Vogelküken groß gezogen, Igel durften bei mir überwintern und verletzten Tieren habe ich geholfen.
Ich weiß bis heute noch nicht, aus welchem Grund ich dann letztlich Wirtschaftswissenschaften studiert habe. Wahrscheinlich werden die Verdienstmöglichkeiten eine Rolle gespielt haben. Die schönen und sinnvollen Berufe sind ja nicht bekannt dafür, besonders lukrativ zu sein. Außerdem habe ich mit 15 schon begonnen, eigene Software zu programmieren, was mir zugegebenermaßen auch viel Spaß bereitet hat.
Ich habe mich dann während meines Studiums immer weiter von dem entfernt, was mir im Leben eigentlich wichtig ist. Bereits als Student habe ich meine eigene Softwarefirma aufgebaut, die ich mit 28 bis zur Aktiengesellschaft gebracht habe. Der Crash des neuen Marktes, hat dann vielen jungen IT-Unternehmen sehr schnell ein jähes Ende bereitet. In unserem Fall ist leider die Beteiligungsgesellschaft in die Insolvenz gegangen und somit waren alle weiteren Pläne schnell Geschichte.
In Folge dieser plötzlichen Änderung meiner Lebenssituation habe ich wohl einen sehr schwerwiegenden Fehler begangen. In der Finanzdienstleistungsbranche,  in der ich in den folgenden Jahren für unterschiedliche Unternehmen arbeitete, musste ich dann nach und nach erkennen, dass meine Vorstellung von einer fairen und seriösen Beratung der Kunden überhaupt nichts mit der Realität zu tun hatte.

Ich persönlich, kann mit einer solchen Situtation nicht leben. Für mich war es wichtig, auch weiterhin morgens mit gutem Gewissen in den Spiegel schauen zu können und so habe ich nach und nach den Schritt in meinen persönlichen Traumberuf gewagt. Zugegebenermaßen war das ein großes Risiko. Mit fast 40 Jahren, in einem Beruf fußfassen zu wollen, von dem in Deutschland eine Hand voll Leute überhaupt nur existieren können, das war schon etwas leichtsinnig.

Für mich  ist es allerdings ein Traumberuf. Ich musste viel lernen, habe versucht immer besser zu werden und bin auch mit diesem Traumberuf durch schwierige Phasen gegangen. Aber es ist mein Traum, den ich mir da verwirkliche und für einen Traum ist man bereit viel zu arbeiten und Schwierigkeiten zu überwinden. Das gute daran ist, es kommt mir nicht wie Arbeit vor!

Und so verbringe ich jeden Tag – ob Wochenende, Feiertag oder Werktag – damit, meinem Hobby nachzugehen und für dieses „Hobby“ werde ich bezahlt.

Inzwischen gehöre ich zu den wenigen Menschen, die vom Beruf  Tierfilmer tatsächlich leben können. Meine Aufnahmen werden in TV-Dokumentationen, Kinofilmen und in Werbung genutzt. Allen bekannt dürften die Aufnahmen der Fischotter und Schreiadler aus der neuen Krombacher Artenschutzkampange sein.

2.

Wenn Sie einem jungen Menschen, der vor der Berufswahl steht, eine Hilfe geben würden, was würden Sie empfehlen?

Würden Sie eher den Beruf des Maklers oder den des Filmeproduzenten empfehlen?

Ich würde eigentlich keines von beiden empfehlen. Wichtig ist doch, welche persönlichen Interessen und Stärken jemand mitbringt. Ich kann aber auf jeden Fall dazu raten, dass man sich einen Beruf sucht, den man tatsächlich mit Leidenschaft ausübt. Ich bin mir sicher, dass man nur dann tatsächlich erfolgreich sein kann.

Für mich ist es ein Horror, wenn ich Tag für Tag eine Arbeit ausüben sollte, die mir keine Freude bereitet. Ich möchte meine Zeit nicht damit verbringen, die Tage bis zum Wochenende oder vielleicht sogar bis zur Rente zu zählen.

Es kann sogar sein, dass der Beruf des Maklers für den einen oder anderen ein Traumberuf ist. Für andere wäre es wahrscheinlich fürchterlich, bei -10Grad im tiefen Schnee zu stehen und den ganzen Tag auf ein paar Wildschweine zu warten oder in engen und extrem unkomfortablen Tarnverstecken von früh morgens bis abends auf irgendwelche Adler zu warten.

Das Problem der Berufswahl im Allgemeinen ist aber ein anderes. Wir alle machen uns mit Unterzeichnung des Arbeitsvertrages im schlimmsten Falle zum Mittäter – zum Söldner. Wir werden dafür bezahlt, die Interessen eines Unternehmens zu vertreten. Jeder Einzelne muss für sich entscheiden, ob er die Interessen eines Unternehmens mit seinen moralischen Vorstellungen in Einklang bringen kann. Da ist es vollkommen egal, ob man z.B. für eine Bank arbeitet, ein Rüstungsunternehmen, die Lebensmittelindustrie, die Pharmaindustrie oder eine Versicherung. All diese Unternehmen – und es gibt noch viele mehr – machen immer wieder mit Betrügereien und menschenverachtenden Aktionen von sich reden. Wer seine Arbeitskraft einem solchen Unternehmen zur Verfügung stellt, redet sich meist damit raus, dass er selbst damit ja gar nichts zu tun hat. Es sind immer „die da oben“. Wir neigen dazu, die eigene Verantwortung ganz weit von uns weg zu schieben. Fakt ist, dass wir alle uns der Mittäterschaft schuldig machen. Welchen Schaden könnte ein Unternehmen denn anrichten, wenn wir es nicht durch unsere Arbeitskraft oder als Konsument unterstützen?

Ich bin nicht bereit, ein Unternehmen zu unterstützen, welches sein Geschäft mit Betrügereien macht. Weder möchte ich für ein solches Unternehmen meine kostbare Lebenszeit opfern noch möchte ich dessen Produkte kaufen.

Wir können uns nicht allen Ernstes über die Verschmutzung der Meere durch Plastikmüll aufregen und gleichzeitig bei jeden Einkauf alles einzeln in Plastiktüten einpacken. Welchen Schaden könnte Monsanto denn anrichten, wenn unsere Bauern die Verseuchung ihrer Felder mit Glyphosat verweigern würden? Oder wir als Konsumenten Biolebensmittel kaufen.

Wenn wir nicht langsam anfangen, wieder Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen, und ich meine damit die berufliche Verantwortung, die politische und auch die Verantwortung unserer Umwelt und der Tiere gegenüber, sehe ich schwarz für unsere Zukunft. Die Zeit, in denen wir die Augen vor der Realität verschließen konnten, ist längst vorbei! Jeder einzelne von uns hat als Arbeitnehmer, Wähler und Konsumenten, die Möglichkeit im ganz kleinen auf dieses System einzuwirken. Das sollten wir uns bewußt machen!

Ob Unternehmen oder Angestellter. Wir tauschen unsere Moralvorstellungen, unsere Lebensqualität unsere Lebenszeit und unseren Lebensraum und die Zukunft unserer Kinder gegen ein bisschen bedrucktes Papier ein. Ist es das wirklich wert?

3.

Viele stellen sich die Tierfilmerei als eine langwierige, teilweise jedoch auch sehr abenteuerliche Geschichte vor. Was war die für Sie spannenste bzw. spektakulärste Situation, die Sie als Tierfilmer erlebt haben?

Die Vorstellung vom Beruf des Tierfilmers weicht leider ein klein wenig von der Realität ab. Tatsächlich besteht der Hauptteil der Arbeit darin zu warten und warten und warten.

Wir haben es ja mit wilden Tieren zu tun. Diese müssen erst einmal gefunden werden. Dann bringt man sich irgendwo mit seiner Kamera in Position. Und dann braucht man extrem viel Geduld. Wilde Tiere neigen dazu, niemals das zu machen, was man gerade von ihnen erwartet. Selbst wenn man sie in Sichtweite hat, heißt das noch lange nicht, dass man mit den Aufnahmen auch etwas anfangen kann. Für perfekte Aufnahmen darf die Entfernung nicht zu groß sein, die Lichtverhältnisse müssen stimmen und selbst das Flimmern der Luft kann ein Problem darstellen. Außerdem haben Tierfilmer grundsätzlich einen Nachteil gegenüber Fotografen. Wir müssen typische Verhaltensweisen aufnehmen. Ein Fotograf kann schöne Portraits erstellen. Das wird im Film aber sehr schnell langweilig.

Wenn man dann nach vielen Stunden seine Aufnahmen tatsächlich im Kasten hat, kommt die Nachbearbeitung am Schnittprogramm.

Alles in allem ist der Großteil der Arbeit nicht wirklich spektakulär. Dennoch kann es zu Situationen kommen, die nicht ungefährlich sind. So wurde ich einmal von einem 300kg schweren Kegelrobbenbullen sehr unsanft vertrieben. Obwohl ich mich in einiger Entfernung von ihm aufhielt und er selbst näher kam, meinte er dennoch, dass ich ihn störe. Man glaubt kaum, wie schnell so ein Kolloss unterwegs sein kann. Ich konnte gerade noch so meine Kamera packen und mich in Sicherheit bringen.

Zum Abschluss kann ich Ihnen noch eine nette kleine Geschichte von unserer Waltour in Nord-Norwegen erzählen. Kurz vor der Küste der Västerålen finden sich im Sommer junge Pottwale-Männer ein. Wir sind also mit einem kleinen Boot rausgefahren um diese Wale zu filmen.

Im Hafen hatten wir angenehmen Wind. Die Sonne strahlte vom blauen Himmel. Mit Stativ, Kamera, großem Teleobjektiv wiegt meine Ausrüstung an die 30kg. Ich brachte die Kamera an Bord. Soweit so gut.

Sobald wir aus dem Hafen ausgelaufen waren, änderte sich die Situation. Die Wellen und Wind nahmen urplötzlich zu. Das Boot wurde ständig von einer Seite zur anderen geworfen. Mit einem Arm um die Reling geschlugen und den anderen Arm um die Kamera, stand ich dort. Geschlagene 3 Stunden war der Kaptain auf den Weg in Richtung der Pottwale. Dort suchte er mit Sonar nach den typischen Geräuschen jagender Wale. Und wir haben sie gefunden. Als der Wal auftauchte, wurde es aber nicht einfacher für mich. Die Schwierigkeit war, den Wal einigermaßen wackelfrei und mit guter Qualität einzufangen. Wenn die Wellen sowohl den Wal als auch das Boot von einer Seite zur anderen werfen, dann fällt soetwas absolut nicht leicht.

Als ich am Ende des Tages einige gute Aufnahmen im Kasten hatte, war ich sehr froh darüber. Es war wirklich kein einfacher Job.