Europäischer Gerichtshof

EuGH: Nun auch Kreditverträge widerrufbar

Während die Corona-Regelungen Abzahlungspflichten teilweise vorübergehend aussetzen, schlägt ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 26.03.2020 viel größere Wellen.

Das deutsche Verbraucherkreditrecht wird damit auf den Kopf gestellt. Der EuGH kippt gleichzeitig die eher bankenfreundlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der letzten Jahre.

Die vom EuGH jetzt für unzureichend empfundene Klausel steckt in sämtlichen Verbraucherdarlehensverträgen, die ab dem 11.06.2010 geschlossen wurden. Der EuGH (Rechtssache C-66/19) entschied über einen Immobiliardarlehens- bzw. Kreditvertrag, mit dem eine Immobilie finanziert wurde. Die beanstandete Formulierung ist Teil der Widerrufsinformation und in der Regel in allgemeinen Konsumentenkreditverträgen bzw. Darlehen ebenso enthalten.

In den standardisierten Widerrufsbelehrungen werden die sogenannten Pflichtangaben nach dem EUGH-Urteil nicht übersichtlich aufgezählt. Stattdessen wird auf § 492 Abs. 2 BGB verwiesen. Dort wiederum findet sich ein Verweis auf andere Gesetzesstellen. Der Verbraucher wird auf eine Schnitzeljagd über mehrere Gesetzesbücher geschickt. Statt konkret zu informieren, muss man die nötigen Informationen mühsam zusammensuchen. Man spricht deshalb auch vom Kaskadenverweis.

Vorfälligkeitsentschädigung fällt weg

Wenn Immobilienbesitzer jetzt noch widerrufen, die zwischen Juni 2010 und März 2016 eine Hypothekenfinanzierung aufgenommen haben, wird keine Vorfälligkeitsentschädigung fällig. Wer beispielsweise im Jahr 2012 eine Finanzierung mit einem Zinssatz von vier Prozent abgeschlossen hat, kann diese nun durch einen Widerruf sofort auf das aktuelle Zinsniveau von rund einem Prozent anpassen. Die Ersparnis dürfte groß sein.

Weg mit dem Diesel

Interessant ist das Urteil auch für die, die nach Juni 2010 mit einem Kredit- oder Leasingvertrag ein Auto finanziert haben. Der Widerruf führt meistens dazu, dass das Fahrzeug zurückgegeben werden kann. Man erhält dann seine Anzahlung und die Ratenzahlungen zurück.

Das könnte für die Diesel-Besitzer interessant sein, die unter dem enormen Wertverfall ihrer Fahrzeuge leiden und die bisher keine anderweitige Rückabwicklung vorgenommen haben.

EuGH: Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters auch bei schuldhaftem Verhalten

Mit Urteil vom 28.10.2010 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Rechtsposition des Handelsvertreters gestärkt. Ein Ausgleichsanspruch kann danach dem Handelsvertreter auch dann zustehen, wenn der Unternehmer im Nachgang zu einer ordentlichen Kündigung ein schuldhaftes Verhalten des Handelsvertreters feststellt.

Besteht der Verdacht, dass ein Handelsvertreter seine Pflichten nicht erfüllt, ist der Unternehmer gut beraten, dem nachzugehen und erst dann, wenn sich der Verdacht bestätigt, dem Handelsvertreter (fristlos) zu kündigen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass er seinem Vertreter trotz schuldhaften Verhaltens einen Ausgleichsanspruch zahlen muss.

Dies ist die Konsequenz eines EuGH-Urteils vom 28.10.2010, das im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Vorlage durch den Bundesgerichtshofs (BGH) erging.

In der Sache ging es darum, dass ein Autohersteller den Vertrag mit einem Autohändler, auf den die Bestimmungen des Handelsvertreterrechts analog Anwendung finden, ordentlich angekündigt hat. Erst nach Zugang der Kündigung erhielt der Unternehmer Kenntnis von einem schuldhaften Verhalten des Händlers, das auch eine fristlose Kündigung gerechtfertigt hätte.

Der Vertragshändler machte nun den Ausgleichsanspruch geltend, während der Hersteller diese mit der Begründung verweigerte, das Verhalten des Handelsvertreters hätte schließlich auch eine fristlose Kündigung gerechtfertigt.

Die Sache landete vor dem BGH, der die Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegte.

In Rede stand u.a., ob gemäß der Handelsvertreterrichtlinie (86/653/EWG) ein Ausgleichsanspruch ausgeschlossen ist, wenn – wie hier – der Arbeitgeber nach einer ordentlichen Kündigung Kenntnis von Umständen erhält, die auch eine fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten.

Der EuGH verneint dies. Art. 18 lit.a der genannten Richtlinie verlange, dass zwischen dem schuldhaften Verhalten des Handelsvertreters bzw. Vertragshändlers und der Entscheidung des Unternehmers, den Vertrag zu beenden, ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Dies werde aus dem verwendeten Wort „wegen“ in Art.18 lit.a deutlich. Auch die Entstehungsgeschichte der Richtlinie spreche für diese Interpretation. So hatte die Kommission ursprünglich einmal vorgeschlagen, den Ausgleichsanspruch auszuschließen, wenn der Unternehmer das Vertragsverhältnis wegen eines vertragswidrigen Verhaltens des Handelsvertreters „gekündigt hat oder hätte kündigen können“. Der Passus „hätte kündigen können“ sei aber eben gerade nicht übernommen worden. Ebenfalls verweist der Gerichtshof in seiner Begründung darauf, dass in allen Sprachfassungen die gleiche Präposition verwendet werde („wegen“) und die Bestimmung (als Ausnahme eines Ausgleichsanspruchs) eng auszulegen sei.

Erfährt der Unternehmer daher erst nach einer ordentlichen Kündigung, dass er auch fristlos hätte kündigen können, geht dies zu seinen Lasten. An dem Ausgleichsanspruch, den er seinem Handelsvertreter zu zahlen hat, ändert dies nichts.

 

Passend zur Zeit : Denkwürdiges vom EuGH zum Urlaub

Vorgestellt von RA Kai Behrens

Gemäß § 7 Abs. 3 ist der Urlaub im laufenden Kalenderjahr zu gewähren.

Gemäß § 7 Abs. 4 Bundesurlaubsgesetz muss der Urlaub ausgezahlt werden, wenn er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz order teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Bisher galt: War der Arbeitnehmer bis zum Ende des Übertragungszeitraumes krank, und konnte er den Urlaub deshalb nicht nehmen, ist der Urlaubsanspruch entfallen.

Dieser Auffassung ist der Europäische Gerichtshof mit zwei Entscheidungen vom 20.01.2009 entgegen getreten.

Dabei war ein langjährig beschäftigter Mitarbeiter immer wieder längere Zeit arbeitsunfähig erkrankt. Wegen der Erkrankung konnte der Urlaub nicht genommen werden. Das Gericht meinte, der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub darf bei einem ordnungsgemäß krankgeschriebenen Arbeitnehmer nicht davon abhängen, dass er während des Bezugszeitraumes tatsächlich gearbeitet hat.

Die Konsequenz: Jeder langfristig erkrankte Mitarbeiter, der dem Arbeitgeber keinen Lohn kostet, weil er Krankengeld bezieht, wird aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zu einem Risiko. Denn jetzt soll er Lohnansprüche haben.

Dem Arbeitgeber ist zu empfehlen, sich darüber Gedanken zu machen und notfalls dem Erkrankten eine Kündigung auszusprechen. Früher bedurfte es solcher Gedanken nicht.

Dem Europäischen Gerichtshof sei Dank.

Ausgleichsanspruch für Versicherungsvertreter?

Im Mai 2009 entschied das Landgericht Frankfurt am Main, dass ein Strukturvertrieb nicht verpflichtet sei, einem ehemaligen Vermögensberater einen Ausgleichsanspruch gemäß § 89 b HGB zu zahlen.

Voraussetzung des § 89 b HGB ist, dass

1.
das Unternehmen erhebliche Vorteile aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden hat und

2.
der Handelsvertreter durch die Vertragsbeendigung Provisionsansprüche verliert (sog. Provisionsverzichtsklausel beim Versicherungsvertreter) und

3.
die Zahlung eines Ausgleiches der Billigkeit entspricht.

Das Landgericht Frankfurt am Main hat immer wieder entschieden, dass ein Berater gemäß Vertrag nicht auf seine Provisionen verzichtet. Schließlich erhalte der Berater sämtliche Provisionen, die ihm vertraglich zugesichert wurden.

Betreuungsprovisionen erhält er deshalb nicht mehr, weil er die Kunden nicht mehr betreut.

Berater gingen mithin beim Landgericht Frankfurt stets leer aus, weil sie keine Provisionsverluste hätten.

Der europäische Gerichtshof hat in einem Urteil vom 26.03.2009 unter dem Aktenzeichen C -348/07 Bedenken gegen die gesetzlichen Regelungen erhoben. Diese wurde in der Handelsvertreterrichtlinie 86/653/ EWG vom 18.12.1986 bereits angepasst.

Der europäische Gerichtshof meint nämlich, dass der Provisionsverlust allenfalls ein Beispiel sein kann, jedoch nicht eine eigenständige Voraussetzung. In der neuen Handelsvertreterrichtlinie wurde die Voraussetzung des Provisionsverlustes gestrichen!

Welche Auswirkungen dies auf laufende und zukünftige Verfahren hat, bleibt anzuwarten.

Dennoch wird die Gesetzesänderung Vertreter begünstigen, welche hauptsächlich einmalige Abschlussprovisionen und geringe Folgeprovisionen erhalten haben. Ob dies das Landgericht Frankfurt am Main in dem oben genannten Fall zu einer Änderung der ständigen Rechtsprechung bewegen kann, bleibt abzuwarten.

Versicherungsvertreter können wieder Hoffnung schöpfen.