Gedanken zu Frau Wallenstein

Frau Wallenstein hatte, wie ich gestern berichtete, in einem offenen Brief in der IHD geäußert. Sie war viele Jahre für die Deutsche Vermögensberatung tätig, ist nunmehr schwer erkrankt und hatte fristlos gekündigt. In ihrem Brief übt sie Kritik an den Arbeitsbedingungen und dem Verhalten ihrer Vorgesetzten.

Ist die Geschichte von Frau Wallenstein eine Ausnahme?

Dazu möchte ich nachfolgend ein paar Anregungen und Gedanken machen, die sich jedoch ausdrücklich nicht an den „Arbeitgeber“ von Frau Wallenstein gerichtet sind, sondern allgemein auf das System Strukturvertrieb und Finanzdienstleistung. Ich betreue einige Berater und Handelsvertreter, die über ähnliche Erfahrungen berichtet haben.

Vorweggestellt: Handelsvertreter sind selbständige Unternehmer. Sie werden nach Leistung bezahlt. Fällt die Leistung weg, ist auch das Einkommen davon betroffen.

Es stellt sich allgemein die Frage, ob Handelsvertreter tatsächlich wirtschaftlich genügend abgesichert, noch dazu in einer „harten“ Branche, dem Finanzvertrieb und den Eigenarten des Strukturvertriebs. Handelsvertreter, die für all die vielen Finanzvertriebe unterwegs sind, beraten und verkaufen Produkte, die auch der Absicherung der Kunden dienen. Viele von ihnen sind nicht einmal selbst genügend abgesichert.

Dabei birgt die Tätigkeit des selbständigen Finanz- oder Vermögensberaters erhebliche Risiken, die auch mit einer Erkrankung verbunden sein können. Vielleicht führt ein harter Existenzkampf auch unmittelbar zu manch einer Erkrankung. Psychische Erkrankungen  sind nicht selten, z.B. der sog. Burnout. Nicht nur der  Finanz- oder Vermögensberater, sondern jeder „Vertriebler“, kann davon betroffen sein. Viele können dann in eine bedrohliche Spirale geraten.

Krankheitsfördernd für den seelischen Burnout sind häufig wirtschaftliche Probleme. Auch wenn jahrelang die Umsätze fließen, genügt nur ein kleiner Anlass, eine kurzzeitige Erkrankung z.B., um dieses Gefüge auszuhebeln. Plötzlich ist das Einkommen nicht mehr da (Bestandsprovisionen gibt es zuweilen kaum), Kosten können nicht mehr gezahlt werden. Zu der Erkrankung selbst kommen dann viele andere Sorgen bis hin zu familiären Problemen. Es beginnt eine bedrohliche Spirale, aus der man bereits jetzt allein nicht wieder herauskommt.

Die Berufskollegen können oft nur wenig helfen. Wenn dann noch entsprechende Gerüchte entstehen, z.B. dass die Krankheit nur vorgeschoben ist, um schon heimlich anderswo zu arbeiten, entsteht aus einem bis dahin harmonischen Kollegenverhältnis oft Neid, Missgunst bis hin zu persönlichen Feindseligkeiten. Weitere Baustellen entstehen. Manch erkrankter Mitarbeiter eines Strukturvertriebs kann davon ein „Liedchen“ singen. Gerade in Strukturvertrieben, in denen innerhalb einer Struktur der eine Handelsvertreter von dem anderen abhängig ist, sind solche Entwicklungen manchmal zu sehen. Schließlich wirkt sich das Ausscheiden eines Kollegen unmittelbar auf das eigene Einkommen aus. „Man nimmt Teil am wirtschaftlichen Erfolg seiner Partner“, heißt es in einem Werbefilm eines Strukturvertriebs.

In Strukturen, in denen „offen“ kommuniziert wird, entsteht diese auf Missverständnissen beruhende Entwicklungen übrigens zumeist nicht.

Schlimmstenfalls kann ein solches Gerücht dazu führen, dass man dem ausscheidenden Berater nachspioniert, ihm Fallen stellt und ihn vor Kunden herabwürdigt. Sogar Prügeleien soll es schon gegeben haben. Manchmal geschieht ein Nachspionieren auch zu Recht, um einem unlauteren Kollegen das Handwerk zu legen. Bei einem erkrankten Berater führt dies aber zu weiteren Problemen.

Erkrankungen eines im Strukturvertrieb tätigen Handelsvertreters haben zuweilen erhebliche finanzielle, soziale und familiäre Folgen.

Vielleicht sollte sich jeder im Finanzvertrieb tätige Handelsvertreter über die Feiertage die Frage stellen, wie hoch sein eigenes Risiko ist, in diese Spirale zu geraten. Einige der Betroffenen haben mir berichtet, dass sie nie selbst in Erwägung gezogen hätten, dass ihnen selbst so etwas passiert.

Wie lange kann ich ohne Einkommen durchhalten? Wie hoch ist mein Einkommen, wenn ich selbst nicht mehr vermittle? Wie werde ich von der Familie im Krankheitsfall aufgefangen? Wie ist die Kommunikation in der Struktur und wie groß die Wahrscheinlichkeit, dass mir die „lieben“ Kollegen dann in den Rücken fallen?

Vielleicht bieten die Feiertage ein bisschen Raum für Gedanken über für die eigene Situation.