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Urteil mit Bestnote: Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes Bremen Aktenzeichen 2 Sa 326/06 vom 06.02.2008, BAG 5 AZR 638 + 639/08
Es besteht ein Arbeitsverhältnis zwischen Versicherungsvertreter und Strukturvertrieb (hier AWD)! Eine unfassbare Entscheidung – richtungwseisend und in allen Punkten richtig.
…dass zwischen den Streitparteien ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist und die Provisionsvereinbarungen wegen Verstoßes gegen § 138 BGB unwirksam sind , ist der Tenor dieses Urteils.
Endlich einmal eine Entscheidung, die die Struktursysteme verstanden hat!
Wir empfehlen, die nachfolgenden Inhalte des Urteils genüsslich zu lesen (Urteil wurde nur verkürzt wiedergegeben).
In diesem Rechtsstreit ging es um Provisions-Rückzahlungen, die ein Handelsvertreter gegenüber dem Strukturvertrieb leisten sollte.
„Maßgeblich dafür, ob ein Arbeitsverhältnis vorliegt, ist die persönliche Abhängigkeit. Dies ergibt sich aus dem Umkehrschluss des § 84 HGB. Unselbständig und deshalb persönlich abhängig ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann.
Insbesondere die Weisung, detaillierte Berichte über die eigene Aktivitäten zu geben, sind mit dem Status eines freien Handelsvertreters nicht vereinbar. Nur dann, wenn ein erheblicher Umsatzrückgang zu verzeichnen ist, sind besondere Berichtspflichten vom BGH akzeptiert.
Eine statusrelevante Einschränkung der selbständigen Bestimmung der Arbeitszeit kann sich auch dann ergeben, wenn ein Verbot jeglicher anderer Tätigkeit dazu führt, dass der Versicherungsvertreter nicht mehr über die Dauer seiner Arbeitszeit bestimmen kann und darauf angewiesen ist, seinen Lebensunterhalt allein aus der geschuldeten Tätigkeit zu bestreiten (BAG Urteil vom 15.02.1999, Aktenzeichen 5 AZR 169/99).
Bereits aus einem weit gefassten und ungewöhnlich einschneidend formulierten Wettbewerbsverbot kann sich ergeben, dass für den Mitarbeiter keine Möglichkeit besteht, seine Arbeitskraft außerhalb der Vertragsbeziehungen einzusetzen. Die von der Klägerin in ihrem Standardvertrag für Handelsvertreter gewählte Formulierung, der Handelsvertreter dürfe Produkte, die nicht in der Provisionsliste der Klägerin stünden, nicht vermitteln, kann vom Handelsvertreter zumindest so verstanden werden, dass ihm eine Tätigkeit als Handelsvertreter – auch wenn sie nicht in Konkurrenz zur Klägerin steht – untersagt werden soll. Auch die ausdrückliche Betonung der Verpflichtung zur ständigen Pflege des vom Handelsvertreter vermittelten Bestandes verstärke die Bindungen des Handelsvertreters an die Klägerin in höherem Maße als dies üblich sei.
Zwar hat der hier zugrunde liegende Vertrag die Berechtigung des Handelsvertreters enthalten, seine Tätigkeit frei zu gestalten. Dennoch hat er auch gleichzeitig eine Weisungsbefugnis der Klägerin über Ort und Zeit der Tätigkeit des Handelsvertreters enthalten, wenn wichtige Gründe dies erforderlich machen. Nach einer Zeugenvernehmung stand für die Berufungskammer fest, dass die vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien als Arbeitsverhältnis zu werten sind. Es konnte zwar nicht festgestellt werden, dass die Klägerin selbst konkrete auf Ort und Zeit der Tätigkeit und deren inhaltliche Ausgestaltung bezogene Weisungen erteilt hat. Sie hat sich hierzu aber ihrer Handelsvertreter bedient, die als Führungskräfte das Team, dem der Beklagte zugeordnet war, geleitet haben. Die Teamleiter und die weiteren übergeordneten Handelsvertreter handelten im Rahmen der von der Klägerin geschaffenen Organisation. Sie taten dies auch im Geiste des Systems der Klägerin.
Im Übrigen hatte der Beklagte die Tätigkeit, wie offenbar andere ausgewählte Handelsvertreter auch, ausschließlich im Büro … aufgenommen, bevor man ihm dort den Handelsvertretervertrag zur Unterschrift vorgelegt hat. Direkten kommunikativen Kontakt hatte der Beklagte offenbar nur im Zusammenhang mit von der Klägerin erteilten Abrechnungen und den Schreiben der Klägerin in Vorbereitung Kündigung und der Endabrechnung. Mit der Zuweisung zum Büro … hat die Klägerin auch die Weichen dafür gestellt, dass der Beklagte sich den dort üblichen Gepflogenheiten untergeordnet hat. Hierzu gehört auch der Umstand, dass Tätigkeit überwiegend in diesem Büro durchgeführt wurde.
Die Zeugen … gaben an, jeweils am Montag ab 9.00 Uhr im Büro zur Berichterstattung bereitgestanden zu haben. Sie waren ebenso jeweils dienstags am späten Nachmittag zur telefonischen Bearbeitung ihrer Vermittlungstätigkeit im Büro. Weiter berichten sie, am Freitag zur Fortbildung gekommen zu sein, zur Teilnahme hätten sie sich verpflichtet gefühlt. Weiter berichteten beide vom samstags als Termin, an dem eventuell nachgearbeitet werden sollte. Der Zeuge … spricht weiter von täglichen telefonischen Meldungen über laufende Aktivitäten. Beide berichten, ihnen sei bei freiwilligen Pflichtveranstaltungen Konsequenzen, etwa im Hinblick auf den Vorschuss angedroht worden. Der Zeuge … berichtet, ihm sei gesagt worden, er müsse ins Büro kommen, obwohl er gerne zu Hause in … gearbeitet hätte. Ein weiterer Zeuge führte aus, dass die Mitarbeiter auf unterster Hierarchiestufe im Büro … keinen festen Arbeitsplatz hatten, trotz der Zahlung eines Betrages von 400,00 € monatlich. Der Zeuge … berichtete weiter, dass der Büroleiter eine Gesprächskultur pflegte, die offenbar gefürchtet wurde. Ein Zeuge sagte aus, dass es Pflichttermine gegeben habe und dass in diesem Zusammenhang wohl auch von Sanktionen bei Nichterscheinen die Rede war.
Allen Aussagen der Zeugen war allerdings gemeint, dass konkret keine Angaben darüber gemacht werden konnten, wann unter Androhung von Konsequenzen in welchem Sachzusammenhang Weisungen erteilt wurden. Deutlich ist für die Berufungskammer nur geworden, dass sich Mitarbeiter auf der Ebene, auf der sich der Beklagte befunden hat, gehalten fühlten, sich an die im Büro kursierenden Regeln zu halten.
Deutlich wurde aber, dass der Beklagte befürchten konnte, seine Bereitschaft, seiner Führungskraft zu folgen, habe Auswirkungen auf die Bereitschaft der Klägerin, ihm weiter Vorschüsse zu zahlen. Der Hinweis auf die Möglichkeit des Wegfalls des Vorschusses ist eher deklaratorischer Natur. Gleichwohl ist er aber als Instrument zur Steuerung des Verhaltens des Handelsvertreters geeignet.
Die Aussagen der Zeugen haben die Kammer davon überzeugt, dass der Beklagte sich wie auch andere Handelsvertreter auf seiner Stufe für verpflichtet gehalten hat, Spielregeln, Aufforderungen zu Gesprächen, Teilnahme an freiwilligen Pflichtterminen und Anregungen zur Nacharbeit am Samstag nachzukommen.
Der Umstand, dass eigene Betriebsmittel nicht zur Verfügung standen in Verbindung mit der Beteiligung an einer Bürogemeinschaft, die monatlich mit 400,00 € zu Buche schlug und deshalb ökonomisch sinnvoll war, obwohl damit ein fester Arbeitsplatz nicht verbunden war, verstärkt dies. Bereits das Fehlen eines festen Arbeitsplatzes im gemeinsamen Büro ist ein Indiz dafür, dass der Beklagte in seinen Entscheidungen wann und wo er arbeiten will, nicht frei war… Bei einer Gesamtschau ergibt sich nach Auffassung der Berufungskammer, dass die rechtliche Beurteilung des Beklagten, er sei weisungsabhängig gewesen, zutrifft.
Die Vergütungen stellen sich zunächst als typische und rechtlich unproblematische Form der Einfußnahme der Klägerin auf ihre Handelsvertreter dar. Allerdings ist nicht zu verkennen, dass über das Vergütungssystem selbst eine hierarchische Struktur geschaffen wird, in der ein Handelsvertreter, der eine höhere Stufe erklommen hat, in seinen Verdienstmöglichkeiten im hohen Maß vom wirtschaftlichen Erfolg der ihm zugeordneten, einen geringeren Stufe angehörigen Handelsvertreter abhängig. Der Teamleiter erhält für jede Bewertungseinheit bis zu 80 % dessen, was dem Teammitglied zusteht. Dieser Effekt wird über die Vorschussvereinbarung noch verstärkt. Über den so genannten linearen Provisionsvorschuss sahen sich die Neueinsteiger zunächst finanziell abgesichert. Diese finanzielle Absicherung hat aber eine über die Ausbildungsphase hinausgehende Funktion. Sie dient der Stabilisierung der Über- Unterordnungsverhältnisse. Über die Ausbildungsphase hinaus und zwar für den Fall, dass der Handelsvertreter der unteren Stufe hinter dem durch den linearen Provisionsvorschuss markierten Plansoll zurück bleibt. Wir der Plansoll nicht erreicht, ist im Falle des Ausscheidens die Hälfte zurück zu zahlen.
Diese Struktur, die zum Konflikt zwischen den Parteien geführt hat, ist offenbar von der Klägerin bewusst konstruiert worden. Dies zeigen die zahlreichen Verfahren der Klägerin gegen ausgeschiedene Handelsvertreter, deren Ergebnisse sie dem Gericht vorgelegt hat. Ob das Vergütungssystem unter Einbeziehung der Vereinbarungen vom Beklagten zu erstattender Kosten gegen § 138 BGB verstößt, kann dahingestellt bleiben. Die Regelungen sind darüber hinaus in ihrer Gesamtheit nicht transparent und verstoßen deshalb auch gegen § 307 Abs. 1 BGB.
Auch das für das Arbeitsverhältnis eines Handlungsgehilfen nach §§ 59 ff. HGB gilt der Grundsatz, dass der Arbeitgeber das Unternehmerrisiko nicht ohne weiteres vollständig auf den Arbeitnehmer überwälzen kann. Der Arbeitgeber hat auch die durch die Tätigkeit des Arbeitnehmers entstehenden Kosten zu tragen.
Das Vertragssystem der Klägerin benachteiligt vor allem Mitarbeiter, die in dem Tätigkeitsbereich, in dem sie eingesetzt sind, zum Teil wenig oder keinerlei berufliche Erfahrungen haben. Bei dieser Personengruppe, zu der der Beklagte gehört, ist es Risiko, letztlich erfolglos zu bleiben, hoch. Diese Personengruppe wird aber für den Fall der Erfolglosigkeit und der damit verbundenen Kündigung mit den Kosten, die sie durch ihre Tätigkeit und den notwendigen Erwerb von Branchenkenntnissen und – Techniken verursacht haben, vollständig belastet.
Diese Personengruppe trägt insofern nicht nur das Risiko nichts zu verdienen, sie finanziert auf eigenes Risiko den Versuch, festzustellen, ob sie für die Tätigkeit bei der Klägerin auf Dauer geeignet ist.
Die Berufungskammer sieht nicht, dass bei Unterzeichnung des Handelsvertretervertrages die tatsächliche Belastung für den Beklagten kalkulierbar war.
Da die Vereinbarung über Vergütung und Kosten unwirksam sind, hat der Beklagte Anspruch nach § 59 HGB auf die ortsübliche Vergütung für seine Tätigkeit. Diese übersteigt unter Berücksichtigung des Betrages, der dem Beklagten zugeflossen ist, die in diesem Verfahren geltend gemachten Ansprüche der Klägerin.
Nach alledem war das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.“
Gegen dieses Urteil wurde Revision beim Bundesarbeitsgericht eingelegt ( Az.5 AZR 638 + 639/08) . Die Parteien einigten sich im Oktober 2009 im Rahmen eines Vergleichs.
Das Bundesarbeitsgericht hatte am 16.10.09 in einer vorläufigen Vorberatung die Rechtsauffassung vertreten, dass die Beklagten nicht in einem Arbeitsverhältnis zu der Klägerin (AWD) standen. Sie waren nicht in Sinne des Arbeitsrechts weisungsgebunden und damit nicht von der Klägerin persönlich abhängig. Die wirtschaftliche Abhängigkeit führe nicht zu einem Arbeitsverhältnis, so das BAG.
Am 20.10.2009 schlossen die Parteien dann einen Vergleich, in dem noch einmal ausdrücklich festgestellt wurde, dass der Beklagte in keinem Arbeitsverhältnis zur Klägerin stand. Die Kosten wurden gegeneinander aufgehoben (jeder zahlt seinen eigenen Anwalt selbst, die Gerichtskosten werden geteilt).