11
Generali muss Buchauszug erteilen
Die Generali muss einen Buchauszug über einen Zeitraum von 8 Jahren erteilen. Dies ist der Tenor einer aktuellen Entscheidung des Arbeitsgerichts Bayreuth vom 30.9.2022.
Der Kläger war lange Jahre bei der Generali als Angestellter im Außendienst tätig. Nach dem Ende des Arbeitsvertrages entstand auf der Geschäftspartnerabrechnung ein Minus. Dies sollte der ehemalige Mitarbeiter ausgleichen.
Daraufhin verlangte der Kläger einen Buchauszug über den Zeitraum von 8 Jahren, der folgende Bestandteile enthalten sollte:
Name des Versicherungsnehmers und/oder Vertragspartners sowie Geburtsdatum
Police- und/oder Versicherungsschein Nummer
Art und Inhalt des Vertrages
Jahresprämien
Vertrags- und/oder Versicherungsbeginn
bei Lebensversicherungsverträgen: Versicherungssumme, Eintrittsalter des Versicherungsnehmers und Laufzeit des Vertrages
Anschließend wurde dieser Antrag ergänzt um die Auskunft „Im Fall der Stornierung: Datum, Grund der Stornierung und Art der ergriffenen Bestandserhaltungsmaßnahmen“.
Die Generali erteilte einen Buchauszug, der jedoch die ergriffenen Bestandserhaltungsmaßnahmen nicht berücksichtigt hatte. Sie wandte ein, sie habe ja bereits erfüllt. Dies wurde vom Arbeitsgericht auch entsprechend gewertet.
Letztendlich wurde die Generali im Rahmen des Buchauszuges verurteilt, im Fall der Stornierung weitere Angaben zum Datum und Grund der Stornierung und zur Art der ergriffenen Bestandserhaltungsmaßnahmen Auskunft zu erteilen.
Gemäß § 87 a Abs. 3 Satz 2 HGB ist ein Unternehmen einem Handelsvertreter gegenüber zur Durchführung von Bestandserhaltungsmaßnahmen verpflichtet. Diese Vorschrift gilt gemäß § 65 HGB auch für Mitarbeiter im Außendienst, wenn sie Provisionen erhalten. Kommt das Unternehmen seinen Pflichten zur Stornobekämpfung nicht nach, bleibt gemäß § 87 a Abs. 3 Satz 2 HGB der Provisionsanspruch erhalten.
Das Arbeitsgericht führt aus:“ Nach der Entscheidung des BGH vom 31.3.2001, Aktenzeichen VIII ZR 149/99, muss der Buchauszug nach § 87 c Abs. 2 HGB die zum Zeitpunkt seiner Aufstellung für die Berechnung, Höhe und Fälligkeit der Provisionen des Handelsvertreters relevanten geschäftlichen Verhältnisse in klarer und übersichtlicher Weise vollständig widerspiegeln, soweit sie sich den Büchern des Unternehmers entnehmen lassen. Nur dann kann der Zweck erfüllt werden, dem Handelsvertreter über seine Provisionsansprüche Klarheit zu verschaffen und ihm eine Nachprüfung der vom Unternehmen erteilten oder noch zu erteilenden Provisionsabrechnungen zu ermöglichen. Im Stornofall ist der Versicherungsvertreter auf die Information Datum der Stornierung, Stornogrund und ergriffenen Erhaltungsmaßnahmen angewiesen. Die seitens der Beklagten vorgelegte Anlage … Erfüllt diese strengen Voraussetzungen an einen Buchauszug nicht. Die Beklagte schuldet dem Kläger eine klare und übersichtliche Darstellung der begehrten Informationen. Eine Übersendung eines Anlagekonvoluts genügt dem nicht. Ein solches führt auch nicht zur teilweisen Erfüllung des Buchauszuges mit der Folge, dass lediglich ein Anspruch aus § 87 c Abs. 3 HGB auf Auskunft besteht. Der seitens des Klägers begehrte Buchauszug ist im Hinblick auf die Bestandteile „Datum der Stornierung“, „Grund der Stornierung“ und „Art der ergriffenen Bestandserhaltungsmaßnahmen „nicht erfüllt.“
Die Beklagte wandte noch den Einwand der Verjährung ein. Das Gericht meinte, dass gemäß der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung die Provisionen noch nicht verdient seien und deshalb auch keine Verjährung vorliege.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Die Entscheidung hat deshalb Bedeutung, weil die Generali bekanntlich ihren eigenen Außendienst aufgab und diesen seit dem Jahre 2018 von der Deutschen Vermögensberatung fortführen ließ. Er stellt sich also die Frage, inwieweit der neue Außendienst, der den Bestand übernommen hat, eine Stornobekämpfungen durchgeführt hat.
09
Jeder Versicherungsvermittler, der sich mit Wechselabsichten beschäftigt, steht vor der Frage, ob und wie er den Kunden gegenüber seinen Abschied mitteilen darf. Wie verlasse ich die Ausschließlichkeit, ohne rechtliche Probeme zu bekommen.
Darf man den Kunden bereits während des laufenden Handelsvertretervertrages darüber informieren, dass man aufhört und wohin man wechselt?
Mit einer solchen Frage hatte sich das Oberlandesgericht Düsseldorf unter dem Aktenzeichen I-16 U 64/03 beschäftigt.
Dort hatte ein Versicherungsvertreter, der für eine Versicherungsgesellschaft tätig war, bereits während des laufenden Handelsvertretervertrages alle Kunden in einem Rundschreiben angeschrieben wie folgt:
„Sie sind bisher von mir beraten und betreut worden, wenn es um Ihre Sicherheit und Vorsorge ging. Waren Sie damit zufrieden?
Aus verschiedenen Gründen habe ich mich entschlossen meine Tätigkeit ab dem 1. April 2002 mit einem Versicherungsunternehmen fortzusetzen. Ich mache weiter und vertrete dann die M… V….
Mit diesem Brief bedanke ich mich heute bei Ihnen dafür, dass Sie mir in den Fragen Ihrer persönlichen Absicherung Ihr Vertrauen geschenkt haben.
Natürlich möchte ich Ihnen ab dem 1. April 2002 auch weiter mit Rat und Tat zur Seite stehen. Sollten Sie also neuen Absicherungsbedarf haben, werde ich Sie auf Wunsch ab dem 1. April 2002 gerne über die Angebote und Leistungen meines neuen Partners informieren.
Für Ihre Zukunft wünsche ich Ihnen alles Gute.“
Dieses Schreiben nahm die Versicherungsgesellschaft zum Anlass, den Handelsvertretervertrag fristlos zu kündigen. In dem Gerichtsverfahren verlangte der Versicherungsvertreter Provisionen. Das Gericht musste darüber entscheiden, ob der Anspruch auf die Provisionen auch nach Ausspruch der fristlosen Kündigung berechtigt war, der Anspruch setzte voraus, dass die fristlose Kündigung unwirksam ist.
Die Versicherungsgesellschaft warf dem Vertreter vor, er habe gegen das Wettbewerbsverbot verstoßen. Deshalb sei die fristlose Kündigung berechtigt.
Zunächst stellte das Oberlandesgericht klar, dass es kein Wettbewerbsverstoß sei, wenn ein Handelsvertreter noch während des Bestehens des Handelsvertretervertrages einen neuen Vertrag abschließt, und zwar für die Zeit nach Ende des Handelsvertretervertrages.
„Der Handelsvertreter darf sich bereits während des bestehenden Vertragsverhältnisses um andere Auftraggeber oder sonstige Konkurrenztätigkeiten für die Zeit nach Beendigung des bestehenden Handelsvertretervertrages bemühen und entsprechende Verträge, besonders Handelsvertreterverträge, abschließen (vgl. Ebenroth/Boujong/Joost, a. a. 0., § 86 Rdnr. 20).“
Das Oberlandesgericht führte weiter aus, dass kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart war und deshalb der Handelsvertreter auch nicht daran gehindert war, mit den Vorbereitungen für einen geplanten nachvertraglichen Wettbewerb schon während des Handelsvertretervertragsverhältnisses zu beginnen. Auch darin sah das Oberlandesgericht keinen Verstoß.
Etwas anderes würde nur dann gelten, so das OLG, wenn sich die Ankündigung und Werbung des Handelsvertreters nicht auf diese Vorbereitungshandlung beschränkt, sondern zum Beispiel bereits mit einer Hilfeleistung oder Unterstützung des Konkurrenten oder seines Produkts oder seiner Leistung verbunden ist. Dies wäre dann ein Wettbewerbsverstoß. Doch auch dies sah das OLG in diesem Fall nicht als Verstoß an. Schließlich hatte, so das OLG, der Versicherungsvertreter nicht bereits Leistungen eines anderen Versicherers angeboten oder vorgestellt. Er hatte auch nicht die Leistungen eines Konkurrenten gelobt oder mit denjenigen des Versicherungsunternehmens verglichen.
Das Rundschreiben wurde jeder Hinsicht vom OLG für rechtmäßig bzw. zulässig erklärt.
Oberlandesgericht Düsseldorf vom 26.3.2004 Aktenzeichen I-16 U 64/03
Es wird jedoch dringend geraten, sich anwaltlichen Rat einzuholen, bevor ein solches o. ä. Rundschreiben verfasst und versendet wird.
23
Ein Handelsvertreter darf seine Kunden nicht dazu anhalten gegenüber einem Mitbewerber, welcher einen noch bestehenden Vertrag mit dem Kunden hat, eine Einwilligung in die Datenverarbeitung zu widerrufen oder eine Sperrung der die Kunden betreffenden Daten oder Kontaktverbote zu verhängen.
Das OLG Jena hat mit seiner Entscheidung vom 23.07.2019 einen bisher nicht geklärten Fall zumindest teilweise entschieden.
Die Klägerin war eine Versicherungsvertreterin verschiedener Versicherer. Sie selbst setzte wiederum Vermögensberater ein.
Der Beklagte war als solcher als Berater für die Klägerin bis 2015 tätig. Im Februar 2017 kamen Schreiben von insgesamt 4 Kunden der Klägerin bei dieser an, die in Wortlaut und Schriftbild identisch waren und vom Faxgerät des Beklagten kamen. Dabei wurde sowohl die Einwilligung in eine weitere Datenverarbeitung widerrufen und ein Kontaktverbot erteilt.
Die Klägerin, welche in erster Instanz vor dem Landgericht noch erfolglos blieb, rügte, dass es sich dabei um ein wettbewerbswidriges Verhalten des Beklagten handelt.
Die Hilfe, sich von Verträgen durch eine Kündigung zu lösen, sei laut dem OLG Jena grundsätzlich zulässig. Auch das Abwerben von Kunden sei erstmal erlaubt und gehöre zum fairen Wettbewerb. Unzulässig wird dies erst, wenn Unlauterkeitsmomente wie Irreführung, Überrumpelung, Nutzung von Geschäftsgeheimnissen oder Herabsetzung hinzutreten. Ein solcher Unlauterkeitsmoment sei nach Ansicht des OLG jedoch im vorliegenden Fall nicht gegeben. Unzulässig sei aber eine Kündigungshilfe, wenn der Kunde in seiner Entscheidungsfreiheit durch aggressives Verhalten oder irreführend erheblich beeinträchtigt wird.
Hierbei machte das Gericht eine Abwägung und rügte den Inhalt der Kündigungs- bzw. Kontaktabschottungserklärungen.
Dabei geht das ausgesprochene Kontaktverbot, welches vom Beklagten (eines Mitbewerbers) diktiert wurde, dem Gericht zu weit. Dies führe zu einer vollkommenen Abschottung des Kunden, obwohl die Klägerin eigentlich einen berechtigten Grund hätte, Kontakt aufzunehmen. Dies sei bei einem bestehenden Vertrag oder bei einer Stornoabwehrmaßnahme der Fall.
Das Anhalten der Kunden gegenüber einem Mitbewerber zur Erklärung eines vollständig abschottenden Inhaltes ist also wettbewerbswidrig, wenn noch ein Vertrag zwischen dem Kunden und dem Mitbewerber (hier der Klägerin) vorliegt.
18
Ausgleichsanspruch: Atypisches Jahr wird nicht mit gerechnet
Nach der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juni 1996 – VIII ZR 141/95 – „Volvo“; BGH, Urteil vom 5. Juni 1996 – VIII ZR 7/95 – „Fiat/Lancia“; BGH, Urteil vom 26. Februar 1997 – VIII ZR 272/95 „Renault II“) ist bei der analog § 89 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB anzustellenden Prognose, in welchem Umfang Nachbestellungen zu erwarten sind, auf einen „Stammkunden- bzw. Mehrfachkundenumsatz“ abzustellen, der vom Vertragshändler vorzutragen ist. Ausgangspunkt sind dabei die Mehrfachkundenprovisionen des letzten Vertragsjahres, sofern dieses keinen atypischen Verlauf genommen hat. Für den Fall, dass das letzte Vertragsjahr als zu berücksichtigendes Basisjahr einen atypischen Verlauf genommen hat, kann ein Durchschnittswert unter Heranziehung eines längeren Zeitraums gebildet werden. Im Regelfall ist der Ausgleichsberechnung insofern der einer Handelsvertreterprovision vergleichbare Teil des Händlerrabatts zu Grunde zu legen, der auf der Grundlage der Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreisen um händlertypische Bestandteile zu bereinigen ist (vgl. nur statt vieler BGH, Urteil vom 5. Juni 1996 -VIII ZR 141/95 ; Oberlandesgericht Frankfurt, Urteil vom 23. Mai 2006 -5U94/05-, juris).
Zitat aus Urteil des Oberlandesgerichtes Düsseldorf Urteil vom 29.03.2012 – I-16 U 199/10
14
Das Sozialgericht Frankfurt am Main hatte mit Urteil vom 08.03.2021 – S 18 BA 93/18 darüber zu entscheiden, ob es sich bei einem als „selbstständig“ beschäftigten Vertriebler einer Bank nicht tatsächlich um einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer handelt.
Geklagt hatte die Deutsche Bank gegen einen Bescheid der Sozialversicherung, die einen Handelsvertreter zum Arbeitnehmer qualifizierte. Die Deutsche Bank hatte einen Finanzberater im Vertrieb beschäftigt, über dessen Status es Streit gab.
Inhaltlich befasst sich die Klage mit der Feststellung einer möglichen Versicherungspflicht des Beigeladenen in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie dem Recht der Arbeitsförderung.
In einem Verfahren vor dem Sozialgericht ist der Beigeladene ein Dritter, eine Person die weder Kläger noch Beklagter ist und nach § 75 SGG im Gerichtsverfahren beteiligt wird.
Klägerin ist eine Bank, für die der Beigeladene als Vertriebler von 2013 bis 2016 tätig war. Diese beantragt mittels Klage gegen das Finanzamt (vorliegend die Beklagte) eine Sozialversicherungspflicht für den Beigeladenen als „Handelsvertreter“ ablehnend festzustellen.
Grundsätzlich trifft die Versicherungspflicht jeden gegen Arbeitsentgelt Beschäftigten. Eine solche Beschäftigung verlangt nach persönlicher Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber, die sich durch betriebliche Eingliederung sowie durch zumeist starre Vorgaben bezüglich Zeit, Dauer, Ort, Art und Ausführung der Arbeit auszeichnet.
Hiervon ist ein „Handelsvertreter“ nach § 84 Abs. 1 HGB abzugrenzen. Nach dieser Norm handelt es sich bei einem Handelsvertreter um einen selbstständigen Gewerbetreibenden, dessen Selbstständigkeit sich in der freien Ausgestaltung seiner Tätigkeit und Arbeitszeit charakterisiert. Ein Handelsvertreter nach § 84 Abs. 1 HGB ist grundsätzlich nicht versicherungspflichtig.
Das Sozialgericht Frankfurt am Main hatte nun zu entscheiden, ob es sich bei dem Vertriebler der Bank um einen selbstständigen Handelsvertreter gemäß § 84 Abs. 1 HGB handelt oder lediglich eine „Scheinselbständigkeit“ des Beigeladenen vorliegt, dieser tatsächlich aber als abhängig Beschäftigter der Versicherungspflicht unterliegt.
Der Beigeladene hat 2013 einen „Handelsvertretervertrag“ unterschrieben, nach dem er sich als Handelsvertreter i.S.d. § 84 Abs. 1 HGB verpflichtete, Finanzprodukte ausschließlich an und über die Bank zu vermitteln. Für seine Tätigkeit wurde der Beigeladene in die Organisation der Klägerin als einzige Auftraggeberin über einen mehrjährigen Zeitraum eingebunden.
Der Vertriebler übernahm hierfür eine festgelegte Räumlichkeit und hatte sich in den Kundengesprächen an die Weisungen der Bank zu halten. Dem Beigeladenen wurden sämtliche notwendige Betriebsmittel von der Klägerin zur Verfügung gestellt und er hatte sich an die Öffnungszeiten der Bank zu halten. Der Vertriebler arbeitete auf Provisionsbasis eng mit festangestellten Arbeitnehmern der Bank zusammen und musste auf die Anstellung von eigenen Erfüllungsgehilfen verzichten. Es bestanden Berichtspflichten gegenüber dem Regionalleiter bezüglich der geschäftlichen Entwicklung. Des Weiteren wurde es ihm angeraten, Fort- und Weiterbildungen für die Angestellten der Bank zu besuchen, auch wenn ihm laut Aussage der Bank bei einem Nichtbesuch keine negativen Folgen gedroht hätten.
Das Sozialgericht wies die Klage der Bank als unbegründet ab.
Der Beigeladene verübte seine Tätigkeit lediglich scheinbar selbstständig, ist aber tatsächlich in Abhängigkeit zu der Klägerin und somit ein versicherungspflichtiger Beschäftigter gewesen.
Für diese „Scheinselbständigkeit“ als Handelsvertreter der Bank sprechen sowohl die starke Einbindung des Beigeladenen in die hierarchischen Strukturen der Bank, das Auftreten im Außenverhältnis als Teil der Klägerin durch die Verwendung von bankeigener Soft- und Hardware, als auch die Weisungsgebundenheit und die Einbindung in die Organisation der Bank im Innenverhältnis. Die wörtliche Bezeichnung des Beigeladenen als Handelsvertreter i.S.d. § 84 Abs. 1 HGB in dem von ihm unterschriebenen Handelsvertretervertrag kann aufgrund der tatsächlichen Gesamtbetrachtung der Tätigkeit dahinstehen: durch die stark begrenzende Ausgestaltung der Arbeitsanweisungen und dem daraus resultierenden Fehlen an Gestaltungsmöglichkeiten seiner eigenen Tätigkeit sowie mangelndem unternehmerischem Risiko, hat die Beschäftigung des Beigeladenen keinen selbstständigen, sondern einen von der Klägerin abhängigen Charakter.
Bei dem Beigeladenen, dem Vertriebler, handelt es sich um einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer der Bank.
Ob das Urteil rechtskräftig ist, ist nicht bekannt.
08
Ausgleichsanspruch trotz wirksamer frisloser Kündigung
Einem Handelsvertreter wurde fristlos gekündigt. Dennoch hat er einen Handelsvertreterausgleich gem § 89 b HGB.
So entschied das Oberlandesgericht Köln am 01.03.2021 unter dem Az.: 19 U 148/20 – trotz Verurteilung wegen Steuerhinterziehung zu 180 Tagessätzen des Handelsvertreters und trotz wirksamer fristloser Kündigung des Handelsvertreterverhältnisses wurde der Anspruch nach § 89 b HGB anerkannt.
Ein Versicherungsvertreter hatte 14 Jahre für eine Versicherungsgesellschaft gearbeitet. Er wurde strafrechtlich rechtskräftig verurteilt.
Das OLG argumentierte, dass keine Gründe vorliegen „in der Privatsphäre oder Lebensführung des Handelsvertreters“, die einen Ausschluss rechtfertigen können.
Die fristlose Kündigung hatten übrigens sowohl das Landgericht Köln in erster Instanz als auch das OLG in zweiter Instanz bejaht. Das führte aber nicht zu einer Versagung des Anspruchs auf den Ausgleich. gem § 89 b HGB.
Wenn eine Vorstrafe oder ein sonstiges Handeln nichts mit dem Vertragsverhältnis zu tun hat, darf es nicht zum Ausschluss des Ausgleiches kommen. Darin waren sich beide Instanzen einig. Es wurde lediglich ein Billigkeitsabzug in Höhe von 25 Prozent vorgenommen, da die Vermögensverhältnisse des Handelsvertreters ungeordnet waren. Außerdem erwähnte das Gericht, die Beklagte sei ja nicht unmittelbare Geschädigte der Straftat gewesen.
Die Versagung des Handelsvertreterausgleichs setzt voraus, dass das Unternehmen das Vertragsverhältnis gekündigt hat und für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Versicherungsvertreters vorliegt. Diese Gründe müssen so schwerwiegend sein, dass die Fortsetzung des Handelsvertretervertrages bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Vertrags nicht zugemutet werden kann.
16
Ein Amtsgericht hatte kürzlich darüber zu entscheiden, ob eine fristlose Kündigung der Firma JeTaSo GmbH gegenüber einer Mitarbeiterin rechtmäßig ist.
Die Fa. JeTaSo GmbH betreibt am Markt den Verkauf von Produkten im Beauty- und Health Bereich. Dabei hat sie Vertriebspartner, die sie über das Internet findet und die Ihre Produkte an die Endverbraucher verkaufen.
Die Klägerin war seit 2018 für die Beklagte tätig. Dabei war es ihr erlaubt, das Intranet der Beklagten, ihre Produkte und angeworbenen Vertriebspartner einzusehen. Die Parteien schlossen keinen schriftlichen Vertrag. Die Vertriebspartnerin musste jedoch bei der Registrierung auf der Internetseite der Beklagten, durch das Setzen eines Häkchens, den AGB JeTaSo zustimmen.
Der Vertrieb von JeTaSo ist strukturmäßig aufgebaut. Der Vertriebsmitarbeiter erhält Provisionen, wenn er selbst vermittelt, und auch dann, wenn er Mitarbeiter anwirbt, die ihrerseits vermitteln. Der Vertriebskanal ist Network Marketing.
Eine gewisse Ähnlichkeit im Aufbau besteht hier zu den bekannten Vertrieben der Finanzdienstleistungen Branche, wie zum Beispiel der DVAG, der OVB oder Swiss Life Select. Während dort eigentlich geklärt ist, dass es sich bei den Mitarbeitern oft um Handelsvertreter handelt, stellt sich JeTaSo auf den Standpunkt, wer für JeTaSo tätig ist, sei kein Handelsvertreter.
Das Amtsgericht Beckum hatte nun über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung einer Vertriebsmitarbeiterin zu entscheiden. Diese war auch Vertriebspartnerin des Unternehmens „Jesper-Nielsen“. Dort verkaufte sie Schmuck.
Am 06.08.2020 sperrte JeTaSo den Zugang ihrer Mitarbeiterin zu dem Intranet und schaltete Ihren Aktivstatus ab. Mit Schreiben vom 07.08.2020 kündigte sie fristlos die Zusammenarbeit. JeTaSo begründete ihre Kündigung mit einem Schreiben vom 15.09.2020 unter Angabe des Grundes „unethischen Handelns“ und „öffentlicher Abwerbung“.
Die Mitarbeiterin meint, sich nicht „unethisch“ verhalten zu haben, noch Abwerbung betrieben zu haben. JeTaSo hingegen behauptet, die Klägerin habe Produkte des Unternehmens „Jesper Nielson“ auf Facebook beworben und dadurch andere Vertriebspartner erfolgreich abgeworben.
Das Amtsgericht entschied, dass das zwischen den Parteien bestehende Vertragsverhältnis wurde nicht durch die fristlose Kündigung beendet worden. Gem. § 89 a Abs.1 S.1 HGB kann das Vertragsverhältnis zwischen dem Unternehmer und dem Handelsvertreter von beiden Parteien aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Der Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot wäre ein Grund für eine außerordentliche Kündigung gewesen, jedoch liegt dieser Grund hier nicht vor.
Der Abwerbeversuch von Vertriebspartnern des Unternehmens zu einem konkurrierenden Unternehmen ist dem Grund nach ein wichtiger Grund im Sinne des § 314 Abs.1 S.2 BGB und würde grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
Auch kann ein schwerer Vertrauensschaden, der durch die unzulässige Konkurrenztätigkeit des Vertriebspartners entstanden ist, einen wichtigen Grund darstellen. Dieser Vertrauensschaden entsteht auch, wenn der Handelsvertreter für ein Unternehmen tätig ist, das ein teilweise ähnliches Angebot hat. Durch diese Konkurrenztätigkeit muss es zu einem Vertrauensverlust kommen.
JeTaSo konnte ein gravierendes Fehlverhalten der Klägerin, das zu einem Vertrauensverlust haben soll, nicht darlegen. Sie berief sich immer wieder auf einen Facebook-Screenshot, auf dem die Mitarbeiterin ihren Partnerlink bei „Jesper Nielsen“ postete.
Das beweist nicht, dass es überhaupt zu einem dafür geforderten Wettbewerbsverstoß gekommen ist. Hier ist bei einer Abwägung beidseitiger Interessen und aller Gegebenheiten, nicht verständlich, wie das Vertrauen der Beklagten zu gravierend verletzt sein soll, um einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darzustellen.
Das reine Markieren von Freunden hat nicht genügend Ernsthaftigkeit, um ein aktives Abwerben darzustellen. Das Abwerben muss nämlich vielmehr ernsthaft gewollt sein und ein ernsthaftes Angebot beinhalten.
Auch die generelle Tätigkeit der Klägerin für „Jasper- Nielsen“ ist kein außerordentlicher Kündigungsgrund. Gem. AGB war eine generelle Tätigkeit schließlich nicht verboten. Die Angebote des Unternehmens „Jesper Nielsen“ habe kein überschneidendes Angebot.
Im Übrigen meinte das Amtsgericht, dass es sich bei der Mitarbeiterin sehr wohl um eine Handelsvertreterin handeln würde.
09
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg entschied am 25. März 2022, dass eine fristlose Kündigung nach einer Datenschutzverletzung gerechtfertigt ist.
Gekündigt wurde einem Betriebsratsmitglied, das seit 1997 als Entwicklungsingenieur beschäftigt war. Obgleich Betriebsratsmitglieder einen besonderen Kündigungsschutz unterlegen, wurde in diesem Fall die Kündigung für rechtens erachtet.
Der Arbeitgeber sprach vor dieser Kündigung bereits eine andere Kündigung aus, gegen die sich das Betriebsratsmitglied erfolgreich vor dem Arbeitsgericht zur Wehr setzte. Diese 1. Kündigung hatte mithin das Arbeitsverhältnis nicht beendet.
Anschließend entschied sich das Betriebsratsmitglied, die Prozessakte aus dem 1. Verfahren per Dropbox-Download einem größeren Personenkreis zur Verfügung zu stellen. In dieser Prozessakte waren jedoch auch sensible Gesundheitsdaten anderer Beschäftigter ohne Schwärzung oder Anonymisierung.
Das Betriebsratsmitglied schoss sich damit das klassische Eigentor. Die 2. Kündigung, die daraufhin wegen der Datenschutzrechtsverletzung ausgesprochen wurde, ist vom Landesarbeitsgericht für wirksam ausgeurteilt worden. Bereits das Arbeitsgericht Stuttgart hat bereits in der 1. Instanz die Kündigung für wirksam gehalten.
Dieser Fall ist durchaus auf Handelsvertreterverhältnisse übertragbar. Wenn ein Handelsvertretern meint, sensible Daten anderen zur Verfügung stellen zu müssen, sei es aus einem Gerichtsverfahren oder aus anderen Quellen, muss auch er mit einer fristlosen Kündigung wegen Verletzung des Datenschutzes rechnen.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, 25. März 2022, 7 Sa 63/21
02
Mit Urteil des Landgerichts Köln wurde kürzlich über Ansprüche eines ehemaligen OVB-Mitarbeiters uf einen Buchauszug entschieden. Dabei ging es um die Frage, welchen Inhalt und zeitlichen Umfang der Buchauszug haben müsse. Das Landgericht erklärte eine Klausel im Handelsvertretervertrag für nichtig.
Die OVB wurde verurteilt, den erteilten Buchungsauszug hinsichtlich sämtlicher von dem Kläger eingereichten Geschäfte über einen zeitraum von 2 Jahren um folgende Angaben zu ergänzen: Datum der Stornierung, Gründe der Stornierung und Art der ergriffenen Bestandserhaltungsmaßnahmen.
Der Vermögensberater/ Finanzdienstleister machte im Wege einer Stufenklage einen Buchauszugsanspruch und einen Provisionszahlungsanspruch geltend. Die Beklagte, die OVB, ist eine Vermittlungsgesellschaft, bei der der Kläger als selbständiger Handelsvertreter tätig war. Im Finanzdienstleistungsvermittlungsvertrag war vereinbart, dass Ansprüche aus dem Vertrag in dreizehn Monaten ab dem Schluss des Monats, indem der Anspruchsberechtigte Kenntnis der Umstände erlangt, verjähren.
Über Provisionen erteilte die Beklagte jeden Monat eine Abrechnung. Dabei wurden diese bevorschusst. Demnach wurden bereits zu Beginn des vermittelten Vertrags 90 % im Abrechnungskonto und 10% im Stornoreservekonto gutgeschrieben. Gem. § 92 Abs. 4 HGB erstarkt die Provisionsanwartschaft mit jeder Prämienzahlung in zu Vertragsbeginn vereinbarter Höhe durch den Versicherungsnehmer während des Stornohaftungszeitraum (60 Monate) anteilig zu Vollrecht.
Kommt es dabei im Stornohaftungszeitraum zu provisionsrelevanten Änderungen am vermittelten Vertrag fordert die Beklagte den Anteil der unverdienten Provision zurück, im Wege entsprechender Provisionsbelastung in der Provisionsabrechnung.
Der Berater meint, dass ihm ein Anspruch auf Erteilung eines Buchungsauszuges, der den Zeitraum von acht Jahren umfasse, zusteht, der im Falle einer Stornierung, das Datum der Stornierung, die Gründe und ergriffenen Bestanderhaltungsmaßnahmen enthält. Er ist der Ansicht, dass die Ansprüche nicht verjährt sind, da die Verjährungsfrist erst beginne, wenn die provisionspflichtigen Geschäfte vollständig und abschließend abgerechnet worden sind. Die OVB erhob die Einrede der Verjährung, da die im Vertrag vereinbarte Verjährungsfrist von 13 Monaten gelten würde.
Das Gericht entschied, dass in dem Buchauszug auch das Datum und der Grund der Stornierung aufzunehmen sei. Der Bundesgerichtshof hatte bereits mehrfach entschieden, dass für den Buchauszug bei Warenhandelsvertretern, im Hinblick auf § 87a Abs.3 HGB auch die Annullierung von Verträgen und die Rückgabe von Waren sowie jeweils deren Gründe anzugeben sind (vgl. u.a Urteil vom 29.11.1995 – VIII ZR 293/94, WM 96, 309). Dies gelte auch für Versicherungsvertreter.
Dem Versicherungsvertreter stehe nach Ansicht des Gerichts grundsätzlich ein Anspruch auf Provisionszahlung zu. Der Anspruch nach § 87a Abs.3 HGB entfalle nur, wenn die Nichtausführung des Vertrags auf Gründen beruhe, die das Versicherungsunternehmen nicht zu vertreten hat. Der Versicherungsvertreter müsse deshalb auch darüber unterrichtet werden, wann und aus welchen Gründen ein von ihm vermittelter Vertrag rückgängig gemacht worden ist. Das Datum der Stornierung sei schon deshalb von Bedeutung, weil bei einer Stornierung nach Bezahlung der Prämie der nach § 92 Abs. 4 HGB unbedingt entstandene Provisionsanspruch nur noch unter engen Voraussetzungen entfallen könne. Der Grund lasse erschließen, ob ein Vertretenmüssen des Unternehmens und damit ein Provisionsanspruch nach § 87a Abs. 3 HGB überhaupt in Betracht kommt. In einem Provisionsprozess hätte das Versicherungsunternehmen das Fehlen eigenen Verschuldens an der Stornierung darzulegen und zu beweisen, dies würde für den Versicherungsvertreter aber ein nicht zumutbares Prozessrisiko darstellen, wenn er Provisionsansprüche einklagen müsse, bei denen schon nach der Art des Stornierungsgrundes eindeutig sei, dass der Provisionsanspruch weggefallen ist. Die bei stornierten Verträgen von dem Versicherungsunternehmen vorgenommenen Bestandserhaltungsmaßnahmen seien ebenso wiederzugeben.
Die OVB hat Berufung eingelegt. Das Urteil ist daher noch nicht rechtskräftig.
Angaben, dazu welche Schritte das Versicherungsunternehmen im Fall einer Stornierung des Vertrages oder bei einer bevorstehenden Kündigung vorgenommen hat, seien von Bedeutung, da das Unterlassen solcher Maßnahmen dazu führen kann, dass die Nichtausführung des Vertrages i.S.v § 87a Abs. 3 S.2 HGB vom Versicherungsunternehmer zu vertreten ist (vgl. Bundesgerichtshof Urteil vom 19.11.82 – I ZR 125/80).
Der Anspruch auf Erteilung eines Buchungsauszugs nach § 87c Abs.2 HGB verjähre selbständig in der regelmäßigen Verjährungsfrist des § 195 BGB. Dieser Anspruch wird allerdings gegenstandslos, wenn der Provisionsanspruch, dessen Vorbereitung er dienen soll, verjährt ist oder aus anderen Gründen nicht mehr durchgesetzt werden kann (vgl. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.2. 2016 – VII ZR 28/15).
Die Vereinbarung der Verkürzung benachteilige den Vertragspartner unangemessen und sei nach § 306 Abs. 2, § 307 Abs. 1 S.1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 BGB unwirksam, da sie der gesetzlichen Regelung des § 199 Abs.1 Nr.2 BGB und des § 202 Ab.1 BGB widerspreche. Gemäß § 199 Abs.1 BGB beginne die regelmäßige Verjährungsfrist, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den, den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsse. Ein Anspruch nach § 199 Abs. BGB ist entstanden, sobald er erstmals vom Gläubiger geltend gemacht und mit einer Klage durchgesetzt werden kann. Dies setzt grundsätzlich die Fälligkeit des Anspruchs voraus (Bundesgerichtshof, Urteil vom 8. Juli 2008 – XI ZR 230/07, NJW-RR 2009, 378 Rn.17). Bei Anspruch auf Erteilung eines Buchauszuges nach § 87c Abs. 2 HGB sei dies mit dem Schluss des Jahres, in dem der Unternehmer dem Handelsvertreter eine abschließende Abrechnung über die diesem zustehende Provision erteilt hat.
Nach dem BGH ist von einer abschließenden Abrechnung auszugehen, wenn der Unternehmer eine Abrechnung über die dem Handelsvertreter zustehende Provision ohne Einschränkungen oder Vorbehalte erklärt hat. Damit ist stillschweigend auch die Erklärung verbunden, dass weitere Provisionsforderungen des Handelsvertreters nicht bestehen (vgl. BGH Urt. v. 3.8.2017 – VII ZR 38/17).
Ohne Erfolg blieb die Einwendung des Klägers, die Abrechnung seien solange nicht anschließend, solange die Verträge einer Stornohaftzeit unterlägen.
18
Der BGH entschied mit Urteil vom 8. Juli 2021 – I ZR 248/19 zugunsten eines Versicherungsmaklers.
Dieser klagte in Hamburg gegen einen Maklerpool und warf diesem vor, zu spät über drohende Stornierungen informiert worden zu sein. Stornogefahrmitteilungen erfolgten erst mit mehrmonatiger Verspätung. Der Name des Maklerpools wurde natürlich in der Entscheidung nicht genannt.
Nun musste der BGH entscheiden, ob dem Makler grundsätzlich ein Anspruch auf Übersendung von Stornogefahrmitteilungen zusteht.
Im Ergebnis sprach der BGH auch dem Versicherungsmakler den Anspruch zu, über drohende Stornierungen rechtzeitig informiert zu werden. Dabei gibt es eine Ausnahme, und zwar dann, wenn ein Versicherungsvertrag von dem Versicherungsnehmer widersprochen wird und der Versicherungsvertrag deshalb von Anfang an nicht besteht.
Hier nun ein paar grundlegende Zitate der Entscheidung des BGH:
„Die Beurteilung des Berufungsgerichts hat weiter Bestand, soweit es angenommen hat, der Kläger sei nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) ebenso schutzbedürftig wie ein Versicherungsvertreter, so dass der Provisionsanspruch des Klägers nach dem Rechtsgedanken des § 87a Abs. 3 Satz 2 HGB nur entfalle, wenn die Nichtausführung der vermittelten Geschäfte auf Umständen beruhe, die von der Beklagten nicht zu vertreten seien.
…
Nach § 87a Abs. 3 Satz 1 HGB hat der Handelsvertreter auch dann
einen Anspruch auf Provision, wenn feststeht, dass der Unternehmer das Geschäft ganz oder teilweise nicht oder nicht so ausführt, wie es abgeschlossen worden ist. § 87a Abs. 3 Satz 2 HGB bestimmt, dass der Anspruch im Falle der Nichtausführung entfällt, wenn und soweit diese auf Umständen beruht, die vom Unternehmer nicht zu vertreten sind. Ein Versicherungsunternehmen hat die Nichtausführung (Stornierung) eines Versicherungsvertrags nicht zu vertreten, wenn es notleidende Verträge in gebotenem Umfang nachbearbeitet hat. Art und Umfang der dem Versicherungsunternehmen obliegenden Nachbearbeitung notleidender Versicherungsverträge bestimmen sich nach den Umständen des Einzelfalls. Das Versicherungsunternehmen kann entweder eigene Maßnahmen zur Stornoabwehr ergreifen, die dann freilich nach Art und Umfang ausreichend sein müssen, oder sich darauf beschränken, dem Versicherungsvertreter durch eine Stornogefahrmitteilung Gelegenheit zu geben, den notleidend gewordenen Vertrag selbst nachzubearbeiten (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2012
– VII ZR 130/11, NJW 2012, 3305 Rn. 15 mwN; MünchKomm.HGB/Ströbl, 5. Aufl., § 92 Rn. 30 bis 33; Staub/Emde, HGB, 5. Aufl., § 87a Rn. 78 und § 92 Rn. 12; Löwisch in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 4. Aufl., § 92 Rn. 22).
Gesichtspunkte, die aufgrund einer starken Annäherung an die Stellung eines Versicherungsvertreters nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) für die Annahme der besonderen Schutzbedürftigkeit des Versicherungsmaklers sprechen können, sind etwa die Zahlung laufender Courtagevorschüsse für vermittelte Versicherungsverträge, die Einbindung in die Organisationsstruktur, die Zahlung von Organisationszuschüssen oder von Bestandspflegegeld und die regelmäßige Versendung von Stornomitteilungen (vgl. BGH, NJW 2011, 1590 Rn. 18).
…
Delegiert das Versicherungsunternehmen die Nachbearbeitung an den Versicherungsvertreter, hat es diesen durch Übersendung von Stornogefahrmitteilungen über die Gefahr zu informieren, dass Versicherungsverträge notleidend werden (vgl. BGH, NJW 2012, 3305 Rn. 18 f. mwN). Hat das Versicherungsunternehmen die Nachbearbeitung an den Hauptvertreter delegiert, obliegt im Verhältnis zwischen Hauptvertreter und Untervertreter dem Hauptvertreter die Pflicht zur Nachbearbeitung
(vgl. Löwisch in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn aaO § 92 Rn. 21; Staub/Emde aaO § 92 Rn. 12; Sperling in Flohr/Wauschkuhn, Vertriebsrecht, 2. Aufl., § 92 Rn. 42). Hat der Hauptvertreter die Nichtausführung des Geschäfts zu vertreten, weil er die ihm gegenüber dem Untervertreter obliegende Pflicht zur Nachbear-
beitung verletzt hat, findet § 87a Abs. 3 Satz 2 HGB deshalb mit der Folge entsprechende Anwendung, dass der Provisionsanspruch des Untervertreters erhalten bleibt (vgl. OLG Köln, VersR 2006, 71 [juris Rn. 7]; Staub/Emde aaO § 87aRn. 82; MünchKomm.HGB/Ströbl aaO § 87a Rn. 57; Emde, EwiR 2008, 559,
560). Diese Grundsätze gelten entsprechend in der vorliegenden Fallkonstellation.“
18
Es kann gar nicht oft genug darauf hingeweisen werden und deshalb noch mal zum Nachlesen:
Die bloße Versendung einer Stornogefahrmitteilung an den Nachfolger des ausgeschiedenen Versicherungsvertreters ist keine ausreichende Maßnahme der Stornogefahrabwehr.
So entschied der BGH mit Urteil vom 28. Juni 2012 – VII ZR 130/11.
Der BGH in dieser Entscheidung:
„Den Versicherer trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er eine ordnungsgemäße Nachbearbeitung des notleidenden Versicherungsvertrags vorgenommen hat (BGH, Urteile vom 1. Dezember 2010 – VIII ZR 310/09, aaO Rn. 23; vom 25. Mai 2005 – VIII ZR 279/04, aaO; und VIII ZR 237/04, aaO Rn. 14; vom 12. November 1987 – I ZR 3/86, aaO unter II 1; vom 19. November 1982 – I ZR 125/80, aaO unter I 2 b; Thume in: Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Bd. 1, 4. Aufl., 2012, Kap. V Rn. 532).
Allerdings weist die Revisionserwiderung zu Recht darauf hin, dass die bloße Versendung einer Stornogefahrmitteilung an den Bestandsnachfolger keine ausreichende Maßnahme ist. Ein auch darauf gerichtetes Wahlrecht des Versicherers gibt es – anders als die Revision meint – nicht und ist in der Rechtsprechung auch nicht gebilligt worden. Denn der Bestandsnachfolger wird den Schwerpunkt seiner
Tätigkeit aus Gründen des eigenen Provisionsinteresses darauf setzen, Neuverträge abzuschließen und nicht dem Provisionsinteresse seines Vorgängers dienen wollen (vgl. Mecklenbrauck, aaO). Daher muss der Versicherer weiteren Vortrag zur konkreten Nacharbeit durch den Nachfolger des ausgeschiedenen
Versicherungsvertreters oder zur Aussichtslosigkeit der Nacharbeit halten.“