OLG Hamm zu Ausgleichsansprüchen bei Tankstellenbetreibern

Versicherungsvertreter sind bei der Berechnung von Ausgleichsansprüchen gegenüber Warenvertretern in mancher Hinsicht benachteiligt. Es gibt für Versicherungsvertreter keine genauen Berechnungsgrundlagen (Ausnahme die „Grundsätze“). Mit Neid blickt man da auf den Handelsvertreter, der waren verkauft. Dass dieser Blick eine Fehleinschätzung ist und dass die Berechnung von Ausgleichsansprüchen voller Fallstricke ist, zeigt jetzt eine Entscheidung des OLG Hamm vom 21.1.2016.

Es geht allgemein um die Frage, ob einem Franchisenehmer Ausgleichsansprüche zustehen, ob es einen Ausgleich für das Ladengeschäft gibt und für die Waschstraße, für Geschäfte mit überwiegend anonymen Kunden also.  Erstinstanzlich wurden Ausgleichsansprüche für die Waschstraße und den Shop abgewiesen. Das Urteil wurde durch das OLG bestätigt.

Hier ein paar Auszüge der Entscheidung:

1. Waschstraße

„Der Kläger hat die Waschanlage gem. Ziff. 17.2 des Tankstellenvertrags im eigenen Namen und auf eigene Rechnung betrieben. Er war insoweit nicht Handelsvertreter der Beklagten, mag diese ihr auch die Waschanlage gestellt haben, so dass sich der Kläger nicht auf die Regelung des § 89 b HGB in direkter Anwendung berufen kann. Anders läge es nur dann, wenn das sog. Waschgeschäft eine im Hinblick auf das eigentliche Tankstellengeschäft, also den Verkauf von Kraft- und Schmierstoffen („Agenturwaren“), solchermaßen unselbstständige Betätigung darstellte, dass trotz der vom Agenturgeschäft gesonderten rechtlichen Ausgestaltung als „Eigengeschäft“ eine Differenzierung im Hinblick auf einen Ausgleichsanspruch nicht hinnehmbar wäre oder gar als unzulässiger Ausschluss eines Ausgleichsanspruchs gem. § 89 b Abs. 4 S. 1 HGB aufzufassen wäre.

Für eine solche Betrachtungsweise fehlt es jedoch an tragfähigen Anhaltspunkten. Der Betrieb der Waschanlage mag in das Marketingkonzept der Beklagten gehören, doch ändert dies nichts daran, dass der eigentliche Tankstellenbetrieb davon rechtlich und tatsächlich unabhängig ist. Die Vorhaltung der Waschanlage stellte auch im Rahmen des Tankstellenvertrags mit dem Kläger ein zusätzliches Serviceangebot an Autofahrer dar, das für den Pächter mit spezifischen Chancen und Risiken verbunden ist, die beim eigentlichen „Tankgeschäft“ nicht auftreten. Entscheiden sich die Vertragspartner bei dieser Sachlage dazu, dass der Pächter das Waschgeschäft im eigenen Namen und auf eigene Rechnung betreibt, schließt es diese Regelung aus, den Pächter gleichwohl auch insoweit als Handelsvertreter anzusehen.

Indes kann nach herrschender Auffassung auch die Absatztätigkeit eines Vertrags- oder Eigenhändlers zu Ausgleichsansprüchen in entsprechender Anwendung des § 89 b Abs. 1 HGB führen (z.B. BGH, Urt. vom 5.2.2015, Az. VII ZR 315/13, NJW 2015, S. 1300, Rn. 11; Baumbach/Hopt, HGB, 36. Aufl., § 84 HGB Rn. 11ff.; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Löwisch, HGB, 3. Aufl., § 89 b, Rn. 213). Die Entstehung eines solchen Ausgleichsanspruchs erfordert jedoch zum einen die Eingliederung in die Absatzorganisation des Herstellers/Lieferanten dergestalt, dass der Partner bzw. Vertragshändler/Franchisenehmer „wirtschaftlich in erheblichem Umfang einem Handelsvertreter vergleichbare Aufgaben zu erfüllen hat“, und setzt zum anderen die Verpflichtung voraus, dem Unternehmer spätestens bei Vertragsende den Kundenstamm zu übertragen, so dass sich dieser die „Vorteile des Kundenstamms sofort und ohne weiteres nutzbar machen kann“ (BGH, Urt. vom 22.10.2003, Az. VIII ZR 6/03, NJW-RR 2004, S. 898; Urt. vom 5.2.2015, Az. VII ZR 315/13, a.a.O.).

Ferner hat der Bundesgerichtshof, der zunächst offengelassen hatte, ob beim Franchising anstelle der rechtlichen Verpflichtung das tatsächliche Verbleiben des Kundenstammes beim Franchisenehmer ausreicht (NJW 1997, 3304 – „Benetton“), im soeben genannten Urteil vom 5.2.2015 (Az. VII ZR 109/13) festgestellt, dass bei Franchiseverträgen, die ein im Wesentlichen anonymes Massengeschäft betreffen, eine bloß faktische Kontinuität des Kundenstammes nach Vertragsbeendigung die entsprechende Anwendung der auf Handelsvertreter zugeschnittenen Bestimmung des § 89 b HGB nicht rechtfertigt. Diese Entscheidung betraf Ausgleichsansprüche aus dem Betrieb zweier Backshops im Rahmen eines Franchisesystems. Sie ist jedoch auch auf den vorliegenden Fall anwendbar:

Auch bei dem Betrieb der Autowaschanlage auf der Station Am Südring in E handelte es sich um ein anonymes Massengeschäft im Sinne des Bundesgerichtshofs. Da der Kläger zu einer „Übertragung des Kundenstamms“ der Waschanlage nicht verpflichtet war, eine solche nicht vornehmen konnte und auch nicht vorgenommen hat, scheitern Ausgleichsansprüche für das Waschgeschäft bereits aus diesem Grund.

Soweit der Kläger im Rahmen des Betriebs der Waschanlage „Waschkarten“ (mit dem Versprechen einer Gratiswäsche nach einer bestimmten Anzahl von Wäschen) ausgegeben sowie (Wasch-)Umsätze auch mit sog. Stationskreditkunden erzielt hat, ergibt sich daraus auch nicht teilweise eine andere rechtliche Bewertung: Denn die Ausgabe von Waschkarten selbst führt nur zu einer faktischen Bindung der betreffenden Kunden; diese selbst bleiben anonym.

Aus solchen „Kundenbindungsmechanismen“ folgt jedenfalls keine Verpflichtung des Pächters, den Kundenstamm zu übertragen, die für die Existenz eines Ausgleichsanspruchs entscheidend ist (BGH, a.a.O., Az. VII ZR 109/13 Rn. 14). An dieser Verpflichtung fehlt es auch bezüglich der Stationskreditkunden. Die Beziehung zu ihnen wird und darf der Pächter mit Aufgabe der Station beenden. Eine Verpflichtung, diese Geschäftsverbindungen „weiterzugeben“, ist im Tankstellenvertrag nicht enthalten. Im Übrigen scheitert eine entsprechende Anwendung des § 89 b HGB auf den Franchisenehmer bereits dann, wenn der von ihm geworbene Kundenstamm im Wesentlichen anonym und als solcher nicht ohne weiteres für den Franchisegeber nutzbar ist (BGH, a.a.O, Rn. 18). Da die Umsätze des Klägers mit Stationskreditkunden deutlich unter 1 % der Gesamtumsätze (sowohl im Wasch- als auch im Shopgeschäft) lagen, handelte es sich bei der gebotenen Gesamtbetrachtung um einen im wesentlichen anonymen Kundenstamm.“

2. Shop

„Auch hier scheitert ein Ausgleichsanspruch in direkter Anwendung des § 89 b HGB, weil der Kläger die Shopwaren im eigenen Namen verkauft hat.

Er kann sich indes auch nicht auf eine entsprechende Anwendung des § 89 b HGB berufen. Das Shopgeschäft stellte, wie der Kläger selbst ausführt, ein sog. Systemgeschäft dar, so dass er insoweit durchaus als Franchisenehmer anzusehen ist. Als solcher kann er nur zu einem Ausgleichsanspruch gelangen, wenn eine Übertragung des Kundenstammes auf die Beklagte sichergestellt war. Auch hier ergab sich allenfalls eine faktische Kontinuität des Kundenstammes, die bei einem anonymen Massengeschäft, wie es der Umsatz im Shopsortiment darstellt, nicht ausreicht (BGH, Urt. vom 5.2.2015, Az. VII ZR 109/13). Die Existenz von Stationskreditkunden führt, wie dargelegt, nicht zu einer anderen Bewertung. Die Gründe, aus denen ein Ausgleich zu versagen ist, gelten auch insoweit, als der Kläger für die Beklagte gelegentlich Kommissionsware (genannt sind insoweit Sonnenbrillen) verkaufte.

Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass die Ermittlung des Ausgleichsanspruchs durch den Kläger, die er offensichtlich auf der Grundlage der Shop-Umsätze vorgenommen hat, der Notwendigkeit, händlertypische Vergütungsbestandteile zu eliminieren (z.B. BGH, Urt. vom 6.10.2010, Az. VIII ZR 209/07, NJW 2011, S. 848), nicht Rechnung trägt. Die dem Kläger von der Beklagten gewährten Margen waren offensichtlich so bemessen, daraus sowohl einen Teil der Standortpacht als auch Umsatzpacht zahlen zu können. Zumindest solche Vergütungsbestandteile können jedoch händlertypischen Charakter annehmen, weil es dem Händler – anders als dem Handelsvertreter – selbst obliegt, das Verkaufslokal vorzuhalten und etwa damit verbundene Kosten zu tragen.“