Oberlandesgericht Frankfurt zum Verhältnis zwischen Verdachtskündigung und Tatkündigung

Einem Vermögensberater, der bereits eine sehr hohe Stufe der Strukturhierarchie der DVAG erreicht hatte, wurde u.a. der Konsum von Drogen zum Vorwurf gemacht. Daraufhin hatte die DVAG den Vertrag fristlos gekündigt.

Die Hintergründe sind streitig. Streitig ist auch, ob es zuvor ein ordnungsgemäßes Anhörungsgespräch gegeben hat.

Nachdem die fristlose Kündigung ausgesprochen wurde, wurde gemäß dem Inhalt eines Darlehensvertrages die Rückzahlung aus diesem Darlehensverhältnis fällig. Dies wurde nun eingeklagt. In diesem Zusammenhang musste nunmehr das Landgericht prüfen, ob die fristlose Kündigung wirksam sei. Der Vermögensberater hatte mit Gegenansprüchen aufgerechnet, da er der Ansicht war, die Kündigung sei unwirksam und ihm ständen Schadensersatzansprüche zu.

Das Landgericht Frankfurt hatte der Zahlungsklage stattgegeben. Die fristlose Kündigung sei danach wirksam.

Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte in anschließenden Berufungsverfahren am 23.06.2014 in einem Vorbehalts- Grund- und Teilurteil festgestellt, dass die Kündigung dagegen nicht wirksam sei.

Nachdem eine Reihe von Zeugen befragt wurde, führte das Gericht dazu aus:

„Die von der Klägerin ausgesprochene Kündigung ist weder als Verdachtskündigung noch als Tatkündigung, noch aufgrund eines nachgeschobenen Kündigungsgrundes wirksam.

Die von der Klägerin ausgesprochene Kündigung ist als Verdachtskündigung unwirksam. Denn die Anhörung des Beklagten durch die Klägerin vor dem Aufbruch der fristlosen Kündigung des mit ihm bestehenden Handelsvertretervertrages genügt teilweise – bezüglich bestimmter Verdachtsmomente – nicht den Anforderungen an eine solche nach den Umständen des Einzelfalls erforderliche Anhörung als Voraussetzung für eine wirksame Verdachtskündigung. Teilweise waren die Verdachtsgründe nicht so schwerwiegend, dass dem Kündigungsberechtigten die Fortführung des Vertragsverhältnisses, ohne dass eine vorherige Abmahnung erfolgt wäre, nicht zugemutet werden konnte.

Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Verdachtskündigung bei Arbeitsverhältnissen, welche auf die Verdachtskündigung von Handelsvertreterverhältnissen übertragbar ist (Oberlandesgericht Bamberg Urteil vom 14.07.1997 – 4 U 195/96) und welche der Senat auch für Handelsvertreterverhältnisse folgt, kam der Verdacht, der Vertragspartner habe eine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung bilden.

Der Verdacht muss objektiv durch Tatsachen begründet sein. Bloß auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Vermutungen reiche nicht aus, auf die subjektive Wertung des Kündigungsberechtigten kommt es nicht an. Diese objektiv begründeten Tagsachen müssen so geschaffen sein, dass sie einen verständigen und gerecht abwägenden Vertragspartner zum Ausspruch der Kündigung veranlassen können. Der Verdacht muss darüber hinaus dringend sein, d. h. es muss eine große Wahrscheinlich dafür bestehen, dass der zu Kündigender die Pflichtverletzung begangen hat. Die Verdachtsmomente und die Verfehlungen der zu kündigende verdächtigt ist, müssen so schwerwiegend sein, dass dem Kündigungsberechtigten die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann (vgl. zuständige Rechtsprechung des BAG Urteil vom 29.11.2007, 2 AZR 724/06).

Voraussetzung der Wirksamkeit einer Verdachtskündigung ist, dass der Kündigungsberechtigte alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhaltes unternommen hat, insbesondere dem zu Kündigenden Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.

Ergeben sich im Rahmen der Ermittlungen neue belastende Erkenntnisse, ist der Kündigende auch hier zuzuhören; nur dann sind Anerkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat die Klägerin nicht bewiesen, dass den Beklagten in Rahmen der Anhörung nach den Umständen des Einzelfalles ausreichend Gelegenheit geboten wurde, zu den gegen ihn bestehende Verdachtsmomente Stellung zu nehmen.

Dass der Beklagte bei der Anhörung eingeräumt habe, in der Vergangenheit Drogen genommen zu habe, vermag eine außerordentliche Verdachtskündigung nicht zu begründen. Die Kündigung der Klägerin hat auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer sogenannten Tatkündigung das Rechtsverhältnis beendet. Die Klägerin hat teils nicht bewiesen, dass der Beklagte die ihm vorgeworfenen Handlungen begangen hat, welche einen hinreichenden Grund für eine außerordentliche Kündigung abgeben könnte. Teils sind die von der Klägerin erhobenen Vorwürfe nicht geeignet, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung – zumal unvorheriger Abmahnung – abzugeben. Es ist vom Gericht zu prüfen, ob die Pflichtwidrigkeit tatsächlich besteht, also die den Verdacht begründenen Pflichtwidrigkeiten eine Tatkündigung rechtfertigen (vgl. Urteil vom BAG vom 23.06.2009 – 2 AZR 474/07).

Bei der Tatkündigung ist die Anhörung keine Wirksamkeitsvoraussetzung. Maßgeblich für die Rechtfertigung einer Tatkündigung ist allein, ob im Kündigungszeitpunkt objektiv Tatsachen vorlagen, die dazu führen, dass dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses – im Falle der außerordentlichen Kündigung: bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – unzumutbar ist (Bundesgerichtshof Urteil vom 23.06.2009 Aktenzeichen 2 AZR 474/07). Nach der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme lässt sich mit der für die Überzeugung des Senats nach § 286 ZPO erforderlichen Sicherheit, die Vorwürfe nicht feststellen.“

Das Gericht hatte sich intensiv mit der Frage der Glaubhaftigkeit der Aussagen und Glaubwürdigkeit der Zeugen auseinandergesetzt.

Der Rechtsstreit ist nunmehr wegen der grundsätzlichen Frage der Hintergründe der Verdachtskündigung und der Tatkündigung an den Bundesgerichtshof abgegeben worden.

Urteil Oberlandesgericht Frankfurt am Main vom 23.06.2014.