Ausgleichsanspruch auch für die Struktur

Auch wer im Strukturvertrieb überwiegend betreuende Tätigkeiten ausgeführt hat, kann einen Anspruch auf den Ausgleich gem. § 89 b HGB haben. Der Ausgleichsanspruch ist u.U. auch für die auf- und ausgebaute Struktur zu zahlen.

Ein Handelsvertreter kann zur Erledigung seiner Vermittlungsaufgaben Untervertreter beauftragen. Im Sprachgebrauch gibt es echte Untervertreter, die mit dem Handelsvertreter in einem direkten Vertragsverhältnis stehen und unechte Untervertreter, die nur in einem Vertragsverhältnis mit dem Unternehmer stehen. Im typischen Strukturvertrieb, z.B. bei der DVAG, handelt es sich um unechte Untervertreter. Mitarbeiter in der Struktur binden sich vertraglich, ebenso wie der Handelsvertreter mit der Leitungsfunktion, mit dem Unternehmen.

Der Bundesgerichtshof urteilte in einem Urteil am 23.11.2011 unter dem Aktenzeichen VIII ZR 203/10, dass einem ehemaligen Vermögensberater der DVAG grundsätzlich ein Ausgleich auch für den Aufbau seiner Struktur zustehen kann.

Auf Seite 13 der Entscheidung heißt es:

Die soeben aufgezeigte Problematik der Aufteilung in vermittelnde unter verwaltende Vergütungsanteile stellt sich auch im Bereich der sogenannten Superprovisionen, durch die der Aufbau einer Vertriebsorganisation durch beispielsweise Einstellung, Einarbeitung und Betreuung von Untervertretung honoriert wird. Auch diese Superprovisionen können ausgleichspflichtig sein, soweit die Tätigkeit des Generalvertreters, Bezirksstellenleiters oder -wie hier- Generaldirektionsleiters Voraussetzung für das Arbeiten der ihm unterstellten Vertreter und daher mit ursächlich für die von diesen vermittelten Ausschlüssen ist …

Eine solche Mitursächlichkeit setzt -entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts- nicht zwingend voraus, dass der Generalvertreter die ihm unterstellten Vertreter auch tatsächlich betreut. Vielmehr kann je nach den Umständen des Einzelfalles schon die Mitursächlichkeit der Einstellung und Einarbeitung der Untervertreter ausreichen.

Etwas differenzierter sah es einmal eine Entscheidung des Oberlandesgericht München mit Urteil vom 10.07.2009 unter dem Aktenzeichen 7 U 4522/08. Wenn man nach den sogenannten Grundsätzen Leben abrechnet, soll es nach dieser Entscheidung keinen Ausgleichsanspruch für von unechten Untervertretern vermittelten Lebensversicherungsverträge geben. Gegenstand dieser Entscheidung war ein Auskunftsanspruch, um den Ausgleichsanspruch zu berechnen. Das Oberlandesgericht München argumentierte, dass sich diese Einschränkung nur aus den sogenannten Grundsätzen ergibt. Bei einer anderen Berechnung würde es danach aber wohl keine Einschränkung geben.

Viele Vertriebe wenden ein, dass eine Provision nicht ausgleichsfähig wäre, weil diese als Entgelt für eine Leistung, nämlich der Verwaltung von Verträgen, gezahlt würde. In der Entscheidung des Oberlandesgericht München wurde auch darüber diskutiert, wann es sich um sogenannten Verwaltungsprovisionen handeln könnte. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 01.06.2005 (VIII ZR 335/04, RN 31), trifft die Darlegungs- und Beweislast dann den Unternehmer für eine Verwaltungsprovision, wenn nach der vertraglichen Provisionsregelung die Zweckbestimmung der zu zahlenden Provision nicht zweifelsfrei festzustellen ist.

Handelsvertreter von Deutscher Bank als Arbeitnehmer eingestuft

Mit Urteil vom 8. März 2021 unter dem Aktenzeichen S 18 BA 93/17 hatte das Sozialgericht Frankfurt einen Handelsvertreter der Deutschen Bank als Arbeitnehmer eingestuft.

Die Deutsche Bank beschäftigt Finanzberater, die laut Vertrag als Handelsvertreter gemäß § 84 HGB tätig sind. Sie leben ausschließlich von Provisionen.

Das Sozialgericht Frankfurt hatte darüber zu entscheiden, ob Kriterien erfüllt sind, diesen einen Mitarbeiter, um den es in diesem Verfahren ging, als Arbeitnehmer einzustufen.

Entscheidend war, inwieweit dieser Mitarbeiter in der Struktur der Deutschen Bank eingebunden war, unter dem Regionalleiter, einem Gebietsleiter den Leitern der Finanzagenturen bis hin zu dem selbstständigen Finanzberater. Das Gericht meinte, dass innerhalb dieser Hierarchie eine Weisungsgebundenheit gegeben sei, die die Arbeitnehmereigenschaft begründe.

Das Gericht stellte dazu fest, dass sich die Finanzberater einen eigenen Standort außerhalb der Finanzagentur hätten genehmigen lassen müssen, inklusive der Ausstattung und der Ausgestaltung der Räumlichkeiten. Mit einer solchen Vorgabe seien Mitarbeiter weisungsgebunden und Arbeitnehmer. „Vorgaben des Regionalleiters werden sodann durch den jeweiligen Gebietsleiter an seine Agenturleiter weitergegeben, die dies dann wiederum in ihren Agenturen an die dort angesiedelten Vermittler wie den Beigeladenen zu 1) weitergeben“, heißt es in der Entscheidung.

Sollte sich diese Entscheidung bestätigen, wäre die Deutsche Bank für diesen Mitarbeiter zur Zahlung von Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherungen beitragspflichtig.

Die Deutsche Bank hatte damals gegen dieses Urteil Berufung angekündigt, die offensichtlich vor dem Landessozialgericht Hessen dem Aktenzeichen L 8 BA 36/21 läuft und wohl bisher noch nicht entschieden wurde.

Weniger Vermögensberater

Am 15. März 2022 teilte die DVAG Deutsche Vermögensberatung AG aus Frankfurt in einer Pressemitteilung mit, dass der langjährige Erfolg der Deutschen Vermögensberatung weiter anhalte. In der Überschrift ist von 7 Jahre-7 Rekorde die Rede. Man teilt eine Umsatzsteigerung auf über 2,24 Milliarden Euro und einen Anstieg des Jahresüberschusses auf 241,6 Millionen Euro mit.

Die Zahl der selbstständigen Vermögensberaterinnen und Vermögensberater soll danach über 18.500 angewachsen sein. Das betraf das Geschäftsjahr 2021.

Seit vielen Jahren konnte die DVAG bekanntlich in vielen Bereichen Zuwächse verzeichnen.

FONDSprofessionell online teilte am 31.03.2023 mit, dass die Vertriebsorganisation der DVAG in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen sei, nun aber stagniere. Die Zahl der hauptberuflichen Vermögensberaterinnen und Vermögensberater sei für 2022 mit über 18.000 angegeben worden, während des im Vorjahr noch über 18.500 gewesen sein sollen.

Procontra-online schreibt am 03.04.2023, dass der Umsatz des Unternehmens um 1,6% auf 2,2 Milliarden Euro zurückgegangen sei.

Der Versicherungsbote schreibt am 31. März 2023, dass der Umsatz auf 2,2 Milliarden Euro fiel, während der Jahresüberschuss um 1,7% kletterte und damit bei 245,7 Millionen Euro lag. Der Versicherungsbote schrieb noch am 18.03.2020, dass Europas größter Allfinanz-Vertrieb zum fünften Mal in Folge wuchs und für das Jahr 2019 eine Umsatzsteigerung von 19,4% erzielt hatte und dabei auf 1,87 Milliarden Euro kletterte.

Die üblichen Entwicklungen in der Branche hinterlassen offensichtlich Spuren, auch beim größten deutschen Strukturvertrieb.

Deutsche Rentenversicherung will 50.000 €

Die Deutsche Rentenversicherung schlägt zu. Wieder einmal wurde ein Betroffener Adressat eines existenzgefährdenden Bescheides.

Ein Selbständiger war fast 30 Jahre lang für einen Vertrieb tätig. Dann erhielt er eine betriebliche Überprüfung, bei der er sich eigentlich gar nichts Besonderes dachte. Er beantwortete sämtliche Fragen und füllte alles aus, was man erwartete.

Es folgte ein Bescheid der Deutschen Rentenversicherung, in dem man ihm mitteilte, er sei ein arbeitnehmerähnlicher Selbständiger und als solcher verpflichtet, in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen.

Deshalb wolle man von ihm innerhalb kurzer Zeit eine Zahlung von etwa 45.000 € haben. Nach einer Antwort und Bitte um Begründung und Zahlungsaufstellung kam die deutsche Rennversicherung dem auch nach. Bis dahin erhöhte sich der Zahlungsbetrag wegen der Säumniszuschläge schon auf fast 50.000 €.

Monatliche wollte man um die 300 € bekommen und dies für einen Zeitraum rückliegend von 5 Jahren. 5 Jahre, so erklärte die deutsche Rennversicherung, sei die Verjährungsfrist. Beiträge, die vor dieser Zeit fällig wurde, könnten nicht mehr verlangt werden.

In dem Bescheid wurde geteilt, dass der Betroffene auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber gearbeitet hätte. Es half dem Betroffenen auch zunächst nichts, als er sagte, er habe doch 2 Auftraggeber. Die Deutsche Rentenversicherung hatte diese beiden Auftraggeber als einen angesehen, weil beide eng zusammenarbeiten würden.

Der Bescheid der Deutschen Rennversicherung richtet sich nach § 2 Satz 1 Nummer 9 SGB VI.

Dort heißt es:

Versicherungspflichtig sind selbständig tätige

1.

Lehrer und Erzieher, die im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen,

2.

Pflegepersonen, die in der Kranken-, Wochen-, Säuglings- oder Kinderpflege tätig sind und im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen,

3.

Hebammen und Entbindungspfleger,

4.

Seelotsen der Reviere im Sinne des Gesetzes über das Seelotswesen,

5.

Künstler und Publizisten nach näherer Bestimmung des Künstlersozialversicherungsgesetzes,

6.

Hausgewerbetreibende,

7.

Küstenschiffer und Küstenfischer, die zur Besatzung ihres Fahrzeuges gehören oder als Küstenfischer ohne Fahrzeug fischen und regelmäßig nicht mehr als vier versicherungspflichtige Arbeitnehmer beschäftigen,

8.

Gewerbetreibende, die in die Handwerksrolle eingetragen sind und in ihrer Person die für die Eintragung in die Handwerksrolle erforderlichen Voraussetzungen erfüllen, wobei Handwerksbetriebe im Sinne der §§ 2 und 3 der Handwerksordnung sowie Betriebsfortführungen auf Grund von § 4 der Handwerksordnung außer Betracht bleiben; ist eine Personengesellschaft in die Handwerksrolle eingetragen, gilt als Gewerbetreibender, wer als Gesellschafter in seiner Person die Voraussetzungen für die Eintragung in die Handwerksrolle erfüllt,

9.

Personen, die

a)

im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und

b)

auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind; bei Gesellschaftern gelten als Auftraggeber die Auftraggeber der Gesellschaft.

Als Arbeitnehmer im Sinne des Satzes 1 Nr. 1, 2, 7 und 9 gelten

1.

auch Personen, die berufliche Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen beruflicher Bildung erwerben,

2.

nicht Personen, die geringfügig beschäftigt sind,

3.

für Gesellschafter auch die Arbeitnehmer der Gesellschaft.

Die Deutsche Rentenversicherung wies auch darauf hin, dass der Betroffene nicht scheinselbstständig sei, er aber als arbeitnehmerähnlicher Selbständiger gemäß § 2 Satz 1 Nummer 9 SGB VI eingestuft werde.

Dies war wenig tröstlich, denn bei Vorliegen der Scheinselbstständigkeit müssten auch Beiträge an die Deutsche Rentenversicherung geleistet werden. Dieser Bescheid würde aber an das Unternehmen gerichtet werden, die den Scheinselbständigen beschäftigt hat. Damit stände der Betroffene wesentlich besser.

In dem hier geschilderten Fall des arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen muss das Unternehmen, das den arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen beschäftigt, nicht zahlen.

Bei Streitigkeiten über die entsprechenden Bescheide ist das Sozialgericht zuständig. Verfahren können hier mitunter ein paar Jahre dauern. Wenn bis dahin nicht gezahlt wurde, fallen erhebliche Säumniszuschläge an, wenn der Prozess verloren geht.

Es empfiehlt sich daher, wenn man einen Rechtsstreit führen will, zunächst  “ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ zu zahlen.

Wer hier Unsicherheiten hat, sollte rechtzeitig eine sogenannte Statusfeststellung durchführen.

Man kann sich auch teilweise von der Versicherungspflicht gemäß § 6 Absatz 1a SGB VI befreien lassen.

Dies gilt danach insbesondere für Personen

für einen Zeitraum von 3 Jahren nach erstmaliger Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit, die die Merkmale des § 2 Satz 1 Nummer 9 erfüllt

oder

nach Veränderung des 58. Lebensjahres, wenn sie nach einer zuvor ausgeübten selbstständigen Tätigkeit erstmals nach § 2 Satz 1 Nummer 9 versicherungspflichtig werden.

Einmalige Abschlussprovisionen können bei Ausgleichsanspruch berücksichtigt werden

§ 89 b HGB regelt den Ausgleichsanspruch für Handelsvertreter. Früher war dort explizit aufgezählt, dass es einen Ausgleichsanspruch nur gibt, wenn der Handelsvertreter nach Vertragsende Provisionsverluste hat.

Diese Regelung wurde gestrichen, jedoch von einigen Gerichten über das Hintertürchen Billigkeit wider eingeführt. Billig (und gerecht) wäre es nicht, wenn es einen Ausgleich gäbe, wenn der Handelsvertrter nur eine einmalige Provision erhalten hat, die er nach Vertragsende nicht mehr bekommen würde.

Der EuGH hatte sich am 23.3.23 unter dem Az. C- 574/21 mit dieser Frage beschäftigt. Es ging um einen Handyverkäufer von O2, der einen Ausgleich wollte und Einmalprovisionen bezog. Im Ergebnis meinte der EuGH, dass Einmalprovisionen berücksichtigt werden, soweit diese pauschal jeden neuen Vertrag vergüten sollen.

Der EuGH dazu:

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 86/653 dahin auszulegen ist, dass die Zahlung von Einmalprovisionen dazu führt, dass von der Berechnung des Ausgleichs nach Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 die Provisionen ausgeschlossen werden, die dem Handelsvertreter aus Geschäften entgehen, die der Unternehmer nach Beendigung des Handelsvertretervertrags mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter vor dieser Beendigung für den Unternehmer geworben hat, oder mit Kunden, mit denen der Handelsvertreter vor dieser Beendigung die Geschäftsverbindungen wesentlich erweitert hat, abschließt.

…………

In der mündlichen Verhandlung hat O2 Czech Republic jedoch darauf hingewiesen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Einmalprovisionen pauschalen Vergütungen für jeden neuen Vertrag entsprächen, der auf Vermittlung des Klägers des Ausgangsverfahrens mit neuen oder vorhandenen Kunden abgeschlossen worden sei.

…………

Falls dem so ist – was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist –, könnte durch den vom Kläger des Ausgangsverfahrens gewonnenen oder erweiterten Kundenstock ein Mehrwert in Form von neuen Geschäften entstanden sein, die einen Provisionsanspruch begründet hätten, wenn der Handelsvertretervertrag nicht beendet worden wäre.

……………………

Nach alledem ist ………. dahin auszulegen, dass die Zahlung von Einmalprovisionen nicht dazu führt, dass von der Berechnung des Ausgleichs nach Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 die Provisionen ausgeschlossen werden, die dem Handelsvertreter aus Geschäften entgehen, die der Unternehmer nach Beendigung des Handelsvertretervertrags mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter vor dieser Beendigung für den Unternehmer geworben hat, oder mit Kunden, mit denen der Handelsvertreter vor dieser Beendigung die Geschäftsverbindungen wesentlich erweitert hat, abschließt, wenn diese Provisionen pauschalen Vergütungen für jeden neuen Vertrag entsprechen, der auf Vermittlung des Handelsvertreters mit diesen neuen Kunden oder mit vorhandenen Kunden des Unternehmers abgeschlossen wird.