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Kürzlich rief mich ein Anwaltskollege aus dem Raum Niederrhein an, um Vergeichsmöglichkeiten in einer konkreten vertrieblichen Maklerangelegenheit zu erörtern. Der Kollege ist auf dem Gebiet des Vertriebsrechts zumindest orientiert. Ob er, wie ich, dort spezialisiert ist, liess sich seiner Website nicht genau entnehmen.
Nach Abschluss des Vergleichsgesprächs fragte er mich dann, ob ich der Anwalt aus Münster sei, der gerade die OVB „aufmische“. Die Frage überraschte mich schon, zumal mir eine solche Wortwahl fremd ist. Aber manchmal ist ein Schatten schneller als man denkt. In der Tat, so konnte ich zurückhaltend antworten, habe ich ein paar Entscheidungen gegen die OVB erwirkt und wir konnten anschließend unsere Erfahrungen austauschen.
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Die Unterscheidung zwischen einem Selbstständigen und einem Arbeitnehmer geht mit erheblichen Konsequenzen für die Sozialversicherungspflicht des Betroffenen einher. Jedoch ist dieser Abgrenzungsprozess in der Praxis häufig nicht unkompliziert durchführbar.
Nicht jeder, den ein unterzeichneter Geschäftsbesorgungsvertrag als „selbstständig“ ausweist, wird auch tatsächlich der Status eines Selbstständigen zu Teil. Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung gibt es in Deutschland ungefähr 235.000 „Scheinselbständigen“.
Diese sind von den formellen Selbstständigen abzugrenzen. Während sich die Selbstständigkeit durch die freie Arbeitsgestaltung, die selbstbestimmte Auswahl und Gestaltung von Arbeitsort und -zeit auszeichnet und mit einem gewissen Maß an unternehmerischem Risiko behaftet ist, ist bei der „Scheinselbständigkeit“ ein solches Konzept der Selbstständigkeit lediglich vertraglich zwischen den Parteien festgehalten. Objektiv jedoch erfüllt der „Scheinselbständige“ die Merkmale eines Arbeitnehmers. Er steht in persönlicher Abhängigkeit zu seinem Auftraggeber, an dessen Weisungen er gebunden ist.
Diese Weisungsgebundenheit und eine enge Eingliederung in die Betriebsorganisation des Auftraggebers unterscheiden den objektiv als Arbeitnehmer agierenden „Scheinselbständigen“ von einem unabhängigen selbstbestimmten Selbstständigen. Besonders deutlich wird diese Unterscheidung, wenn der Betroffene lediglich für einen Auftraggeber über einen längeren Zeitraum ohne eigene Angestellte tätig ist oder ihm eine solche Anstellung gar vom Auftraggeber vollends untersagt wird.
Die Folgen einer solchen „Scheinselbständigkeit“ wirken sich auf den Betroffenen und den Auftraggeber jeweils unterschiedlich aus.
Der Auftraggeber wird bei einer nachgewiesenen „Scheinselbständigkeit“ in die Sozialversicherungspflicht genommen und kann dazu verpflichtet werden, den Sozialversicherungsbeitrag bis zu vier Jahre rückwirkend zu zahlen. Für den „Scheinselbständigen“ besteht die Möglichkeit seinen Status als „Arbeitnehmer“ einzuklagen, womit dieser einem vertraglich beschäftigten Arbeitnehmer gleichgestellt wird und die rechtlichen Vorteile eines Arbeitnehmerverhältnisses wie Kündigungsschutz, Urlaubsansprüche oder einen Lohnfortzahlungsanspruch erhält.
Häufig streben Unternehmen die „Scheinselbständigkeit“ ihrer Angestellten bewusst an, um an Sozialversicherungsbeiträgen zu sparen oder die gesetzlichen Vorteile des Arbeitnehmerverhältnisses zu umgehen. Ist dem Betroffenen seine Position als sozialversicherungspflichter Arbeitnehmer jedoch bewusst gewesen oder handelte dieser in seiner Tätigkeit als „Scheinselbständiger“ mit Vorsatz, kann auch er mit einer Bußgeldzahlung in Verpflichtung genommen werden.
Um die Vermutung einer „Scheinselbständigkeit“ zu umgehen, empfiehlt sich für den Selbstständigen die Gründung einer Kapitalgesellschaft oder seine Tätigkeiten für mehrere Auftraggeber und über einen kürzeren Zeitraum zu verrichten.
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Das Sozialgericht Frankfurt am Main hatte mit Urteil vom 08.03.2021 – S 18 BA 93/18 darüber zu entscheiden, ob es sich bei einem als „selbstständig“ beschäftigten Vertriebler einer Bank nicht tatsächlich um einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer handelt.
Geklagt hatte die Deutsche Bank gegen einen Bescheid der Sozialversicherung, die einen Handelsvertreter zum Arbeitnehmer qualifizierte. Die Deutsche Bank hatte einen Finanzberater im Vertrieb beschäftigt, über dessen Status es Streit gab.
Inhaltlich befasst sich die Klage mit der Feststellung einer möglichen Versicherungspflicht des Beigeladenen in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie dem Recht der Arbeitsförderung.
In einem Verfahren vor dem Sozialgericht ist der Beigeladene ein Dritter, eine Person die weder Kläger noch Beklagter ist und nach § 75 SGG im Gerichtsverfahren beteiligt wird.
Klägerin ist eine Bank, für die der Beigeladene als Vertriebler von 2013 bis 2016 tätig war. Diese beantragt mittels Klage gegen das Finanzamt (vorliegend die Beklagte) eine Sozialversicherungspflicht für den Beigeladenen als „Handelsvertreter“ ablehnend festzustellen.
Grundsätzlich trifft die Versicherungspflicht jeden gegen Arbeitsentgelt Beschäftigten. Eine solche Beschäftigung verlangt nach persönlicher Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber, die sich durch betriebliche Eingliederung sowie durch zumeist starre Vorgaben bezüglich Zeit, Dauer, Ort, Art und Ausführung der Arbeit auszeichnet.
Hiervon ist ein „Handelsvertreter“ nach § 84 Abs. 1 HGB abzugrenzen. Nach dieser Norm handelt es sich bei einem Handelsvertreter um einen selbstständigen Gewerbetreibenden, dessen Selbstständigkeit sich in der freien Ausgestaltung seiner Tätigkeit und Arbeitszeit charakterisiert. Ein Handelsvertreter nach § 84 Abs. 1 HGB ist grundsätzlich nicht versicherungspflichtig.
Das Sozialgericht Frankfurt am Main hatte nun zu entscheiden, ob es sich bei dem Vertriebler der Bank um einen selbstständigen Handelsvertreter gemäß § 84 Abs. 1 HGB handelt oder lediglich eine „Scheinselbständigkeit“ des Beigeladenen vorliegt, dieser tatsächlich aber als abhängig Beschäftigter der Versicherungspflicht unterliegt.
Der Beigeladene hat 2013 einen „Handelsvertretervertrag“ unterschrieben, nach dem er sich als Handelsvertreter i.S.d. § 84 Abs. 1 HGB verpflichtete, Finanzprodukte ausschließlich an und über die Bank zu vermitteln. Für seine Tätigkeit wurde der Beigeladene in die Organisation der Klägerin als einzige Auftraggeberin über einen mehrjährigen Zeitraum eingebunden.
Der Vertriebler übernahm hierfür eine festgelegte Räumlichkeit und hatte sich in den Kundengesprächen an die Weisungen der Bank zu halten. Dem Beigeladenen wurden sämtliche notwendige Betriebsmittel von der Klägerin zur Verfügung gestellt und er hatte sich an die Öffnungszeiten der Bank zu halten. Der Vertriebler arbeitete auf Provisionsbasis eng mit festangestellten Arbeitnehmern der Bank zusammen und musste auf die Anstellung von eigenen Erfüllungsgehilfen verzichten. Es bestanden Berichtspflichten gegenüber dem Regionalleiter bezüglich der geschäftlichen Entwicklung. Des Weiteren wurde es ihm angeraten, Fort- und Weiterbildungen für die Angestellten der Bank zu besuchen, auch wenn ihm laut Aussage der Bank bei einem Nichtbesuch keine negativen Folgen gedroht hätten.
Das Sozialgericht wies die Klage der Bank als unbegründet ab.
Der Beigeladene verübte seine Tätigkeit lediglich scheinbar selbstständig, ist aber tatsächlich in Abhängigkeit zu der Klägerin und somit ein versicherungspflichtiger Beschäftigter gewesen.
Für diese „Scheinselbständigkeit“ als Handelsvertreter der Bank sprechen sowohl die starke Einbindung des Beigeladenen in die hierarchischen Strukturen der Bank, das Auftreten im Außenverhältnis als Teil der Klägerin durch die Verwendung von bankeigener Soft- und Hardware, als auch die Weisungsgebundenheit und die Einbindung in die Organisation der Bank im Innenverhältnis. Die wörtliche Bezeichnung des Beigeladenen als Handelsvertreter i.S.d. § 84 Abs. 1 HGB in dem von ihm unterschriebenen Handelsvertretervertrag kann aufgrund der tatsächlichen Gesamtbetrachtung der Tätigkeit dahinstehen: durch die stark begrenzende Ausgestaltung der Arbeitsanweisungen und dem daraus resultierenden Fehlen an Gestaltungsmöglichkeiten seiner eigenen Tätigkeit sowie mangelndem unternehmerischem Risiko, hat die Beschäftigung des Beigeladenen keinen selbstständigen, sondern einen von der Klägerin abhängigen Charakter.
Bei dem Beigeladenen, dem Vertriebler, handelt es sich um einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer der Bank.
Ob das Urteil rechtskräftig ist, ist nicht bekannt.
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Immer wieder ist zu hören, dass Außendienstmitarbeiter die Auffassung vertreten, sie seien doch eigentlich Arbeitnehmer. Man sollte dies dann auch gerichtlich durchsetzen.
Der erfahrene Anwalt erwidert, dass das so einfach nicht ist und gegebenenfalls auch Risiken mit sich bringt.
In einem aktuellen Fall, in dem ein – zunächst als selbständig angedachter – Mitarbeiter von der Deutschen Rentenversicherung per Bescheid als Arbeitnehmer eingestuft wurde (mit der Folge erheblicher Nachzahlungen) wurden folgende Kriterien zur Abgrenzung mitgeteilt:
Arbeitnehmer
Der Begriff Beschäftigung wurde geregelt durch die am 1.7.1977 in Kraft getretene Vorschrift des § 7 SGB IV. Hiernach versteht man im Sinne der Sozialversicherung die nicht selbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, wobei hierzu auch der Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Bereich betriebliche Ausbildung zählt. Um eine Beschäftigung handelt es sich immer dann, wenn rechtswirksam ein Arbeitsverhältnis begründet wird. Die Worte nicht selbständige Arbeit umschreiben das persönliche Abhängigkeitsverhältnis, in dem sich ein Arbeitnehmer zu seinem Arbeitgeber – beurteilt nach den tatsächlichen Verhältnissen – befindet.
Wesentliches Merkmal eines Beschäftigungsverhältnisses bzw. einer abhängigen Beschäftigung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die persönliche Abhängigkeit. Im Regelfall ist der Umstand, dass die Arbeitskraft in einem auf unbestimmte Zeit angelegten Dienstverhältnisses ganz oder überwiegend einem Betrieb zur Verfügung gestellt wird, als wesentliches Kennzeichen der persönlichen Abhängigkeit zu werten. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff der persönlichen Abhängigkeit äußert sich vornehmlich in der Eingliederung in einem Betrieb, womit regelmäßig das Weisungsrecht des Arbeitgebers hinsichtlich
– der Arbeitszeit,
– des Arbeitsortes
– der Art, Ausführung und Reihenfolge der Arbeit
verbunden ist.
Das Weisungsrecht kann allerdings im Einzelfall mehr oder weniger eingeschränkt sein. Selbst die ohne oder nahezu ohne besondere Weisung erbrachte Arbeitsleistung ist jedoch fremdbestimmt, wenn sie von der Ordnung des jeweiligen Unternehmens geprägt wird. In diesem Fall verfeinert sich die Weisungsgebundenheit des Beschäftigten zur sogenannten funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess. Auch wenn die persönliche Einwirkung des Arbeitgebers Gestalt ausdrücklicher Weisungen nicht in Erscheinung tritt und dadurch die Durchführung der Arbeit dem selbstverantwortlichen Ermessen des Arbeitnehmers überlassen bleibt, liegt eine fremdbestimmte Dienstleistung vor, wenn die zu erfüllende Aufgabe
• von der Ordnung des Betriebes geprägt wird
• sich aus Übung oder Herkommen ergibt und
• die Arbeitskraft im Dienst des Unternehmens eingesetzt wird.
Neben der persönlichen Abhängigkeit sprechen folgende Kriterien für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung:
- die fehlende Möglichkeit der freien Gestaltung der Tätigkeit
- das fehlende Unternehmerrisiko
- der fehlende Einsatz von eigenem Kapital
- Art und Einsatz von Arbeit-bzw. Betriebsmittel
- Integration in Arbeitsabläufe
- steuerliche Behandlung usw.
Insgesamt gesehen ist eine abhängige Beschäftigung daher stets zu bejahen, wenn der dienstleistende in einem Betrieb arbeitet, d. h. also in den Betrieb eingegliedert ist und als Angehöriger des Betriebes gesehen wird, selbst wenn die Weisungsgebundenheit – was die Ausführung der Arbeiten anbetrifft – stark eingeschränkt ist. Er spricht außerdem für ein Beschäftigungsverhältnis werden
- Arbeit zugewiesen wird, ohne dass dies mit dem Subunternehmer/freien Mitarbeiter abgestimmt ist oder
- die Arbeit fremdbestimmt ist.
In einer abhängigen Beschäftigung ist der Arbeitnehmer grundsätzlich nicht in der Lage, zum Beispiel Umfang, Inhalt und organisatorische Einbindung seiner Arbeitsleistung selbst zu bestimmen. Ein Arbeitnehmer erledigt somit fremdbestimmte Arbeit, weil der Auftraggeber andere auf seine Kosten arbeiten lässt. Die erfolgte Arbeit ist insofern für einen Fremden (3. Person, Auftraggeber, Unternehmer usw.) bestimmt. Diesem Dritten kommt letztlich auch der finanzielle Vorteil.
Selbständige Tätigkeit
Eine selbständige Tätigkeit liegt vor, wenn der Tätige weisungsfrei arbeiten kann und der tätige somit über seine Arbeitskraft, die Gestaltung der Tätigkeit sowie seine Arbeitszeit im Wesentlichen frei verfügen kann und ein eigenes Unternehmerrisiko trägt. Es ist jedoch zu beachten, dass Unternehmerrisiko nicht mit dem Einkommensrisiko zu verwechseln ist, dass auch abhängig Beschäftigte tragen, die nicht nach der Zeit, sondern nach dem Erfolg entlohnt werden und folglich ein schwankendes Einkommen erzielen. Ein echtes Unternehmerrisiko liegt vor, wenn eigenes Kapital unwesentlich eigene Betriebsmittel mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt werden. Der Erfolg eines Selbständigen und der Erfolg des Einsatzes sächlicher oder persönlicher Mittel ist im Prinzip ungewiss. Zum Unternehmerrisiko gehört keinesfalls ein Lohnzahlungsrisiko oder das Risiko des Verlustes des Arbeitsplatzes. Das Risiko eines jeden Arbeitenden, dass seine Leistung den Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber nicht entspricht und dass er deswegen seine Tätigkeit verliert, ist kein -_das selbständige Gewerbetreibende auszeichnende – Unternehmerrisiko.
Unternehmerrisiko bedeutet, dass der Unternehmer eingesetztes Kapital vermehren oder verlieren kann. Unternehmerrisiko ist auch dann erkennbar, wenn der Auftragnehmer infolge fehlerhafter eigener Kalkulation oder sonstige Umstände des Geschäftsverkehrs betriebliche Verluste erleidet. Die Belastung mit Risiken im Zusammenhang mit der Verwertung der Arbeitskraft spricht allerdings nur dann für eine Selbstähnlichkeit, wenn ihr eine größere Freiheit bei der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs des Einsatzes der eigenen Arbeitskraft gegenübersteht.
Neben dem erwähnten Unternehmerrisiko sprechen unter anderem nachstehende Merkmale für eine selbständige Tätigkeit:
- Persönliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit
- Weisungsfreiheit
- uneingeschränkte Tätigkeit für mehrere Geschäftspartner
- Berechtigung zur Werbung für das eigene Unternehmen
- Beschäftigung von Hilfskräften
- Anmeldung eines Gewerbebetriebes
- Erlaubnis zur Ausübung eines Gewerbes oder einer freiberuflichen Tätigkeit
- Vorhandensein eigener Betriebsstätte
- Einsatz eigener Arbeit-bzw. Betriebsmittel
Auf einer Tätigkeit nicht nur selbstständig berichtet wird, entscheidet sich letztendlich danach, welche Merkmale im Einzelfall überwiegen. Dabei ist es unerheblich, welche Bezeichnung die Beteiligten gewählt haben. Es ist auch unerheblich, wie das Vertragswertes der Vertragsparteien bürgerlich-rechtlich zu beurteilen ist und welche Absichten die Parteien mit ihren Abmachungen verfolgen. Es kommt nur auf die tatsächlichen Verhältnisse und die Art der zu verrichtenden Tätigkeit an. Überwiegen die Merkmale der selbständigen Tätigkeit, so handelt es sich um eine selbständige Tätigkeit. Sprechen aber die Tatsachen, die dem Verhältnis zwischen dem Arbeitenden geben, der die Arbeit vergibt, in ihrer Gesamtwürdigung weder eindeutig für eine selbständige Tätigkeit noch für eine abhängige Beschäftigung, so ist bei der versicherungsrechtlichen Beurteilung darauf abzustellen, durch welche der beiden Arten der Erwerbstätigkeiten das Erwerbsleben des Betreffenden geprägt ist.
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Ausgleichsanspruch trotz wirksamer frisloser Kündigung
Einem Handelsvertreter wurde fristlos gekündigt. Dennoch hat er einen Handelsvertreterausgleich gem § 89 b HGB.
So entschied das Oberlandesgericht Köln am 01.03.2021 unter dem Az.: 19 U 148/20 – trotz Verurteilung wegen Steuerhinterziehung zu 180 Tagessätzen des Handelsvertreters und trotz wirksamer fristloser Kündigung des Handelsvertreterverhältnisses wurde der Anspruch nach § 89 b HGB anerkannt.
Ein Versicherungsvertreter hatte 14 Jahre für eine Versicherungsgesellschaft gearbeitet. Er wurde strafrechtlich rechtskräftig verurteilt.
Das OLG argumentierte, dass keine Gründe vorliegen „in der Privatsphäre oder Lebensführung des Handelsvertreters“, die einen Ausschluss rechtfertigen können.
Die fristlose Kündigung hatten übrigens sowohl das Landgericht Köln in erster Instanz als auch das OLG in zweiter Instanz bejaht. Das führte aber nicht zu einer Versagung des Anspruchs auf den Ausgleich. gem § 89 b HGB.
Wenn eine Vorstrafe oder ein sonstiges Handeln nichts mit dem Vertragsverhältnis zu tun hat, darf es nicht zum Ausschluss des Ausgleiches kommen. Darin waren sich beide Instanzen einig. Es wurde lediglich ein Billigkeitsabzug in Höhe von 25 Prozent vorgenommen, da die Vermögensverhältnisse des Handelsvertreters ungeordnet waren. Außerdem erwähnte das Gericht, die Beklagte sei ja nicht unmittelbare Geschädigte der Straftat gewesen.
Die Versagung des Handelsvertreterausgleichs setzt voraus, dass das Unternehmen das Vertragsverhältnis gekündigt hat und für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Versicherungsvertreters vorliegt. Diese Gründe müssen so schwerwiegend sein, dass die Fortsetzung des Handelsvertretervertrages bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Vertrags nicht zugemutet werden kann.