Ausgleichsanspruch

BGH: Ausgliederndes Unternehmen haftet für den Ausgleichsanspruch

Wie schon am 22.9.2015 hier im Blog beschrieben, hat der BGH entschieden, dass das ausgliedernde Unternehmen für den Ausgleichsanspruch haftet.

In einer sehr interessanten Entscheidung widmet sich der BGH vielen rechtlichen Fragen zur Ausgliederung und zum Ausgleichsanspruch. In der Entscheidung geht es auch um die Fragen, ob dem Handelsvertreter ein Vetorecht gegen „seine“ Ausgliederung zusteht (ähnlich wie bei einem Arbeitnehmer), ob eine Kündigung in diesem Fall wirksam ist u.s.w..

Die Kernaussage des BGH zum Ausgleichsanspruch lautet:

„Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Ausgleichsverbindlichkeit nach § 89b HGB im Streitfall vor dem Wirksamwerden der Ausgliederung begründet worden, weshalb es sich bei der Ausgleichsverbindlichkeit um eine Verbindlichkeit im Sinne des § 133 Abs. 1 UmwG handelt. Diese Verbindlichkeit resultiert aus dem vor dem Wirksamwerden der Ausgliederung geschlossenen Agenturvertrag, bei dem es sich um ein Dauerschuldverhältnis handelt. Nicht erforderlich für die Haftung nach § 133 Abs. 1 UmwG ist, dass der Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Ausgliederung bereits entstanden war (vgl. BAG, NZA 2015, 106 Rn. 48, zur Abspaltung).“

BGH vom 13.8.2015 Az VII ZR 90/14

BGH erkennt gesamtschulderische Haftung bei Ausgleichsanspruch

Ein ehemaliger Vertriebsmitarbeiter der AachenMünchener Lebensversicherung streitet um seine Ausgleichszahlung.

Der Versicherungsvertreter war für viele Jahre an die AachenMünchener als Handelsvertreter angeschlossen. Die AachenMünchener verkaufte vor einigen Jahren ihren Außenvertrieb an die Deutsche Vermögensberatung Allfinanz. Der Versicherungsvertreter wollte diesen Wechsel nicht mitmachen.

Bis heute bemühte er sich um Klärung, wer denn nun von beiden – AachenMünchener oder DVAG Allfinanz – für die Zahlung des Ausgleichsanspruches zuständig ist.

Zunächst wurde die Allfinanz gerichtlich in Anspruch genommen. In Frankfurt am Main entschieden die Gerichte jedoch, dass – trotz von der Allfinanz behaupteten Ausgliederung des Vertriebes – ein Vertrag zwischen dem Handelsvertreter und der Allfinanz nicht zustande gekommen sein soll.

Anschließend wandte sich der Handelsvertreter an die AachenMünchener. Nachdem diese auch nicht zahlen wollte, wurde Klage erhoben.

In der ersten Instanz scheiterte der Handelsvertreter. In der zweiten Instanz meinte das Oberlandesgericht Köln, dass die AachenMünchener – trotz Ausgliederung – für den Ausgleichsanspruch – gesamtschuldnerisch – haften müsse.

Dieses wollte die AachenMünchener nicht einsehen und wandte sich nach diesem Urteilsspruch im Rahmen der Revision an den Bundesgerichtshof. Der Bundesgerichtshof gab bei dieser Frage nunmehr überwiegend dem Handelsvertreter Recht. Er meinte, dass es sich bei den Ausgleichsansprüchen um überwiegend schon während der Vertragslaufzeit erworbene Ansprüche handelt, für die dann auch das ursprüngliche Vertragsunternehmen (hier AachenMünchener) zuständig sei.

Der Handelsvertreter begehrte zudem Schadenersatz. Dieser wurde von allen Instanzen zurückgewiesen.

Nunmehr wurde der Rechtsstreit zur Berechnung der Höhe des Ausgleichsanspruches an das Oberlandesgericht zurückgegeben.

Die Ausgliederung des Stamm-/Ausschließlichkeitsvertriebes der AachenMünchener auf die Allfinanz Deutsche Vermögensberatung AG erfolgte gemäß Vertrag im Dezember 2007. Ausgliederungsstichtag war der 01.07.2007.

Lange Prozessdauer

Die WELT berichtete kürzlich, dass sich ein griechischer Anwalt darüber beschwert hatte, dass er in einem neuen Zivilverfahren einen Gerichtstermin erhalten hatte, und zwar für das Jahr 2031 (in Worten zweitausendeinunddreißig).

Die WELT mutmaßte darüber, dass die Richter, die diesen Gerichtstermin wahrnehmen werden, ja noch nicht einmal mit dem Jurastudium begonnen hatten. Die Richter aus dem Jahr 2031 müssten wohl heute noch Schüler sein.

Diese langen Verfahren haben wir in Deutschland Gott sei Dank nicht. Verfahren über mehrere Instanzen dauern jedoch auch hier mitunter mehr als acht Jahre und haben dann immer noch kein Ende gefunden. Dies ist traurig genug, gerade dann, wenn es um den Ausgleichsansprüche geht, die der Handelsvertreter nach Renteneintritt geltend macht. Über dieses langwierige Verfahren berichte ich morgen.

Begrenzung des Ausgleichsanspruch europarechtswidrig

Die ehemals gemäß HGB verankerte Begrenzung der Provisionsansprüche ist europarechtswidrig.

Breits am 26.03.2009 hatte der Europäische Gerichtshof unter dem Aktenzeichen C–348/07 entschieden, dass die Begrenzung des Ausgleichsanspruchs bei Handelsvertretern gemäß § 89b HGB auf die Höhe der verlorenen Provisionsansprüche europarechtswidrig ist. Darin liegt ein Verstoß gegen die EU-Handelsvertreterrichtlinie (86/653/EWG), auf der § 89b HGB basiert und die einem Handelsvertreter einen Ausgleich gewährt, wenn der Unternehmer dessen Vertragsverhältnis kündigt.

Interessant ist, dass schon bei konzerninternen Umstrukturierungen die Finanzverwaltung (also das Finanzamt) einen Ausgleichsanspruch annimmt und eine Korrektur der Einkünfte des verbundenen Unternehmen eigenständig vornimmt indem es diese um einen fremdüblichen Ausgleich auf Grundlage des  § 89b HGB analog erhöht und dann besteuert. Auch stellt der Ausgleichsanspruch gemäß § 89b HGB einen Schadenersatz-, Entschädigungs- bzw. Ausgleichsanspruch im Sinne von § 8 Funktionsverlagerungsverordnung (FVerlV) dar. Auch hier wird der Ausgleichsanspruch als spezielle steuerrechtliche Regelung herangezogen.

Mithin wirkt sich die neue Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes auch steuerrechtlich aus.

Nach § 89b HGB Abs. 1 Satz 1 HGB kann der Handelsvertreter von dem Unternehmer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einen angemessenen Ausgleich verlangen, wenn und insoweit

1.  der Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile hat

2. Der Handelsvertreter infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses Provisionsansprüche verliert, die er bei dessen Fortsetzung aus bereits abgeschlossenen oder künftig zustande gekommenen Geschäften mit den von ihm geworbenen Kunden hätte und

3. Die Zahlung des Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände der Billigkeit entspricht.

Aus dem Wortlaut „wenn usw.“ schließt die Rechtsprechung teilweise, dass alle Voraussetzungen kumulativ gegeben sein müssen. Nur wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, gibt es den Ausgleichsanspruch und nur „soweit“ bis zum jeweils geringeren Betrag. Der Ausgleich könne also nicht höher sein als der niedrigste Betrag der drei Nummern (Hopt in Baumbach/ Hopt, HGB Kommentar § 89b Randnr. 45, EUGH 26.03.2009 C-348/07).

In einem weiteren Schritt wird dieser nach Abs. 1 ermittelte Betrag in Absatz 2 gemessen und begrenzt. § 89b Abs. 2 stellt mithin eine Deckelung bzw. Kappungsgrenze dar. In § 89b Abs. 2 steht, dass der Ausgleich höchstens einen nach dem Durchschnitt der letzten 5 Jahre der Tätigkeit des Handelsvertreters berechnete Jahresprovision oder sonstige Jahresvergütung beträgt. Die Obergrenze ist also die Jahresprovision, die nach dem Durchschnitt der letzten 5 Jahre berechnet wird.

Die EU-Handelsvertreterrichtlinie gibt den Mitgliedsstaaten vor, entweder nach Artikel 17 Abs. 2 einen Ausgleichsanspruch oder nach Art. 17 Abs. 2 einen Schadensersatzanspruch zu schaffen. Deutschland hat sich für den Ausgleichsanspruch entschieden. Ein Ausgleichsanspruch gemäß Art. 17 Abs. 2a hat der Handelsvertreter, wenn und soweit

–          er für die Unternehmer neue Kunden geworben oder die Geschäftsverbindungen mit vorhandenen Kunden wesentlich erweitert hat und der Unternehmer aus den Geschäften mit diesen Kunden noch erhebliche Vorteile zieht und

–          die Zahlung eines solchen Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der den Handelsvertreter aus Geschäften mit diesen Kunden entgegenen Provisionen, der Billigkeit entspricht.

Nach Art. 17 Abs. 2b der EU-Handelsvertreterrichtlinie ist der Ausgleich ebenfalls gedeckt. Er darf nicht höher sein als der Jahresdurchschnittsbetrag der Vergütungen, die der Handelsvertreter während der letzten 5 Jahre erhalten hat.

Der Europäische Gerichtshof hatte am 26.03.2009 unter dem Aktenzeichen C-348/07 entschieden, dass die vor der deutschen Rechtsprechung vertretene Begrenzung des Ausgleichsanspruchs der Höhe nach auf Provisionsverluste gemäß § 89b Abs.1 Satz 1 Nr. 2 HGB gegen Art. 17 Abs. 2a verstoße und damit europarechtswidrig ist.

Schließlich schütze die Richtlinie insbesondere die Interessen der Handelsvertreter gegenüber der Unternehmen und dieser Schutz sei nach Art. 17 zwingendes Recht. Provisionsverluste dürfen zukünftig im Rahmen des Nr. 3 nur noch eins von vielen Billigkeitsmerkmalen sein. Ausgleichsansprüche können demnach auch bestehen, wenn tatsächlich gar keine Provisionsverluste anfallen. Selbst Verträge mit Einmalprovisionen würden infolge der Entscheidung des EUGH ausgleichswidrig sein.

Ferner stellte der EUGH klar, dass Vorteile Dritter bei der Berechnung der Vorteile des Unternehmers grundsätzlich nicht berücksichtigt werden dürfe, wenn dies nicht ausdrücklich im Handelsvertretervertrag vorgesehen ist.

EU Richtlinien sind in nationales Recht umzusetzen. Sie sollen eine optimale Wirkung entfalten (sogenannter „Effet Utile“). Deswegen sollte die richtlinienkonforme Auslegung des § 89b HGB für deutsche Gerichte möglich sein.

EU Richtlinien haben zwar keine unmittelbare Wirkung und müssen nur innerhalb einer bestimmten Frist durch eine nationale Regelung umgesetzt werden. Ein Betroffener kann sich jedoch dann auf die EU Richtlinie berufen, wenn diese nicht innerhalb einer angemessenen Frist umgesetzt worden ist.

Der Gesetzgeber hatte bereits schnell auf die EUGH Entscheidung reagiert. Mit Gesetz vom 31.07.2000 wurden bisherige Nummern 2 und 3 zu einer neuen Nr. 2 zusammengefasst, wonach die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit diesem Kunden entgegenen Provisionen, der Billigkeit entspricht..

„Alte“ Deutsche Regelung zum Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters europarechtswidrig

Bei Beendigung des Vertragsverhältnisses verliert ein Handelsvertreter den von ihm aufgebauten Kundenstamm an den Unternehmer, ohne dass er für neu abgeschlossene Geschäfte eine Provision erhält. Als Ausgleich für die im Aufbau eines Kundenstamms liegende Leistung des Handelsvertreters, die nach Vertragsbeendigung zugunsten des Unternehmers weiterwirkt, sieht § 89b HGB eine zusätzliche Vergütung vor. Um den Anspruch erfolgreich geltend machen zu können, müssen für den Unternehmer erhebliche Vorteile entstehen, die aus einer Geschäftsbeziehung zu Kunden resultieren, die der Handelsvertreter während seiner Vertragszeit neu geworben oder deren Geschäftsbeziehung er wesentlich erweitert hat.

Als Kehrseite der Vorteile für den Unternehmer entstehen dem Handelsvertreter Provisionsverluste. Der Umfang der Provisionsverluste richtet sich danach, was dem Handelsvertreter ohne Vertragsbeendigung zugestanden hätte. Der Ausgleichsanspruch konnte nach bisherigem Deutschen Recht nicht höher sein als die Vorteile des Unternehmers oder der Provisionsverlust für den Handelsvertreter.

Der EuGH hatte sich mit der Frage zu befassen, ob die deutschen Regelungen des HGB zum Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters bei Beendigung des Vertragsverhältnisses (§ 89b Abs. 1 Nr. 2 HGB) gegen europäisches Recht verstoßen (hier die Europäische Handelsvertreter-Richtlinie (Richtlinie 86/653/EWG zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter vom 18.12.1986).

Der EuGH kam zu dem Ergebnis, dass der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters entgegen dem Wortlaut des § 89b Abs. 1 Nr. 2 HGB nicht von vornherein durch die Höhe der Provisionsverluste begrenzt werden darf, auch wenn die dem Unternehmer verbleibenden Vorteile höher zu bewerten sind.

Nach Ansicht des EuGH führt die deutsche Regelung dazu, dass der Ausgleichsanspruch an die Höhe des Provisionsverlusts gekoppelt und somit im Zweifel nach unten angepasst wird. Dies widerspricht jedoch dem von der Richtlinie bezweckten Schutz des Handelsvertreters. Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters kann daher nicht von vornherein durch die Höhe der Provisionsverluste begrenzt werden, auch wenn die dem Unternehmer verbleibenden Vorteile höher zu bewerten sind.

Das bisherige deutsche Recht verstößt daher gegen die europäischen Vorgaben und muss angepasst werden. Außerdem wird sich die deutsche Rechtsprechung anpassen müssen. Die Möglichkeit, eine Ausgleichszahlung zu bekommen, dürfte in manchen Fällen wahrscheinlicher werden.

 

Die Entscheidung des EuGH im Volltext

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 17 der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechts-vorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (ABl. L 382, S. 17, im Folgenden: Richtlinie).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Semen, Pächter einer Tankstelle, und der Deutschen Tamoil GmbH (im Folgenden: Deutsche Tamoil) über die Höhe des Ausgleichs wegen Beendigung des Vertragsverhältnisses, den dieses Unternehmen Herrn Semen aufgrund der Kündigung seines Vertrags schuldet.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Art. 17 der Richtlinie bestimmt:

„(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen dafür, dass der Handelsvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses Anspruch auf Ausgleich nach Absatz 2 oder Schadensersatz nach Absatz 3 hat.

(2) a) Der Handelsvertreter hat Anspruch auf einen Ausgleich, wenn und soweit

– er für den Unternehmer neue Kunden geworben oder die Geschäftsverbindungen mit vorhandenen Kunden wesentlich erweitert hat und der Unternehmer aus den Geschäften mit diesen Kunden noch erhebliche Vorteile zieht und

– die Zahlung eines solchen Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit diesen Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass zu diesen Umständen auch die Anwendung oder Nichtanwendung einer Wettbewerbsabrede im Sinne des Artikels 20 gehört.

b) Der Ausgleich darf einen Betrag nicht überschreiten, der einem jährlichen Aus-gleich entspricht, der aus dem Jahresdurchschnittsbetrag der Vergütungen, die der Handelsvertreter während der letzten fünf Jahre erhalten hat, errechnet wird; ist der Vertrag vor weniger als fünf Jahren geschlossen worden, wird der Ausgleich nach dem Durchschnittsbetrag des entsprechenden Zeitraums ermittelt.

c) Die Gewährung dieses Ausgleichs schließt nicht das Recht des Handelsvertreters aus, Schadensersatzansprüche geltend zu machen.

…“

Nationales Recht

4 § 89b Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs in der zum maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung setzt Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie in das nationale Recht um. Er lautet:

„Der Handelsvertreter kann von dem Unternehmer nach Beendigung des Vertrags-verhältnisses einen angemessenen Ausgleich verlangen, wenn und soweit

1. der Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile hat,

2. der Handelsvertreter infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses Ansprüche auf Provision verliert, die er bei Fortsetzung desselben aus bereits abgeschlossenen oder künftig zustande kommenden Geschäften mit den von ihm geworbenen Kunden hätte, und

3. die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände der Billigkeit entspricht.

Der Werbung eines neuen Kunden steht es gleich, wenn der Handelsvertreter die Geschäftsverbindung mit einem Kunden so wesentlich erweitert hat, dass dies wirtschaftlich der Werbung eines neuen Kunden entspricht.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

5 Herr Semen war vom 1. November 2001 bis zum 31. Dezember 2005 Pächter einer Tankstelle der Deutschen Tamoil in Berlin. Dort verkaufte er im Namen und für Rechnung dieses Unternehmens vor allem Kraftstoffe und Schmierstoffe, aber auch Telefonkarten unterschiedlicher Netzbetreiber, die es ihm zur Verfügung stellte.

6 Die Deutsche Tamoil gehört zur staatlichen libyschen Oilinvestgruppe, die in Deutschland ein Tankstellennetz von etwa 250 Stationen, sowohl unter der A-Marke „Tamoil“, ihrer Firma, als auch unter der – preisgünstigeren – B-Marke „HEM“, be-treibt.

7 Die Tankstelle von Herrn Semen war eine „HEM“-Station. Seine Provision bemaß sich bei Kraftstoffen nach der verkauften Menge („Literprovision“), bei Ölen nach dem Umsatz. Tankten Besitzer von Tankkarten, denen die Deutsche Tamoil Nachlässe gewährte, stand Herrn Semen nur eine geringere Provision zu.

8 Das Landgericht Hamburg wurde zur Entscheidung über den Herrn Semen zu zahlenden Ausgleich nach Beendigung seines Vertragsverhältnisses mit der Deutschen Tamoil angerufen.

9 Nach der deutschen Rechtsprechung haben die drei Tatbestandselemente des § 89b Abs. 1 HGB kumulativen Charakter und begrenzen einander. Der Ausgleich kann daher nicht höher als der niedrigste Betrag sein, der sich unter einer der drei Nummern ergibt.

10 Gestützt auf diese Rechtsprechung neigt das Landgericht dazu, Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie dahin auszulegen, dass diese Bestimmung, nach der Provisionsverluste des Handelsvertreters nur ein Element im Rahmen der Billigkeitsprüfung darstellen, auch zulässt, die dem Handelsvertreter entgehenden Provisionen als Obergrenze des Ausgleichs zu betrachten.

11 Da das Landgericht Hamburg im Hinblick auf diese Auslegung des Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie jedoch Zweifel hat, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist es mit Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie vereinbar, dass der Ausgleichs-anspruch des Handelsvertreters durch seine Provisionsverluste infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses begrenzt wird, auch wenn die dem Unternehmer verbleibenden Vorteile höher zu bewerten sind?

2. Gehören hierzu bei einem Konzern, dem der Unternehmer angehört, auch die den Konzerngesellschaften zufließenden Vorteile?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

12 Mit seiner ersten Frage möchte das nationale Gericht wissen, ob Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er es nicht erlaubt, dass der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters von vornherein durch seine Provisionsverluste infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses begrenzt wird, auch wenn die dem Unternehmer verbleibenden Vorteile höher zu bewerten sind.

13 Hierzu ist einleitend festzustellen, dass Art. 17 der Richtlinie mit dem Blick auf die Ziele dieser Richtlinie und das damit eingeführte System auszulegen ist (vgl. Ur-teil vom 23. März 2006, Honyvem Informazioni Commerciali, C-465/04, Slg. 2006, I-2879, Randnr. 17).

14 Weiter steht fest, dass die Richtlinie die Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien eines Handelsvertretervertrags zum Ziel hat. So soll sie insbesondere die Interessen der Handelsvertreter gegenüber den Unternehmern schützen und legt zu diesem Zweck u. a. in den Art. 13 bis 20 Regeln über Abschluss und Beendigung des Handelsvertreter-vertrags fest (Urteil Honyvem Informazioni Commerciali, Randnrn. 18 und 19).

15 Was die Beendigung des Vertrags betrifft, wird mit Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie ein System geschaffen, das den Mitgliedstaaten ermöglicht, zwischen zwei Lösungen zu wählen. Sie haben nämlich die erforderlichen Maßnahmen dafür zu ergreifen, dass der Handelsvertreter nach Beendigung des Vertrags entweder Anspruch auf einen nach den Kriterien des Art. 17 Abs. 2 bestimmten Ausgleich oder auf nach den Kriterien des Art. 17 Abs. 3 bestimmten Schadensersatz hat.

16 Die Bundesrepublik Deutschland hat sich für die in Art. 17 Abs. 2 vorgesehene Lösung entschieden.

17 Nach ständiger Rechtsprechung ist das mit Art. 17 der Richtlinie geschaffene System, insbesondere was den Schutz des Handelsvertreters nach Vertragsbeendigung betrifft, zwingendes Recht (Urteil vom 9. November 2000, Ingmar, C-381/98, Slg. 2000, I-9305, Randnr. 21, und Honyvem Informazioni Commerciali, Randnr. 22).

18 Daher haben die Mitgliedstaaten, was den Ausgleich wegen Beendigung des Vertragsverhältnisses betrifft, nur innerhalb des durch die Art. 17 und 18 der Richtli-nie festgelegten Rahmens einen Gestaltungsspielraum bei der Wahl der Methoden zur Berechnung des Ausgleichs (Urteil Ingmar, Randnr. 21, und Urteil Honyvem In-formazioni Commerciali, Randnr. 35).

19 Das in Art. 17 der Richtlinie geregelte Verfahren läuft in drei Stufen ab. Auf der ersten geht es zunächst um die Quantifizierung der Vorteile des Unternehmers aus den Geschäften mit den vom Handelsvertreter geworbenen Kunden gemäß Art. 17 Abs. 2 Buchst. a erster Gedankenstrich der Richtlinie. Auf der zweiten Stufe wird dann nach Art. 17 Abs. 2 Buchst. a zweiter Gedankenstrich geprüft, ob der Betrag, der sich auf der Grundlage der genannten Kriterien ergeben hat, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der dem Handelsvertreter entgangenen Provisionen, der Billigkeit entspricht. Schließlich wird auf der dritten Stufe der Ausgleichsbetrag an der in Art. 17 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie festgelegten Höchstgrenze gemessen, die nur dann relevant ist, wenn der sich aus den vorstehenden beiden Berechnungsstufen ergebende Ausgleichsbetrag sie übersteigt.

20 Da die Provisionsverluste demnach nur einen von mehreren Gesichtspunkten darstellen, die im Rahmen der Billigkeitsprüfung relevant sind, ist es Sache des nationalen Gerichts, auf der zweiten Stufe seiner Bewertung zu prüfen, ob der dem Handelsvertreter gewährte Ausgleich letztlich billig erscheint und ob und gegebenenfalls inwieweit er unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls anzupassen ist.

21 In Anbetracht des in Randnr. 14 des vorliegenden Urteils dargelegten Ziels der Richtlinie ergibt sich aus diesem System, dass eine Auslegung von Art. 17 der Richt-linie, wie sie das nationale Gericht vertritt, nur zulässig ist, wenn sich ausschließen lässt, dass sie sich für den Handelsvertreter als nachteilig erweist.

22 In diesem Zusammenhang ist außerdem festzustellen, dass der Gerichtshof bereits auf den Bericht über die Anwendung von Art. 17 der Richtlinie (KOM[96] 364 endg.) Bezug genommen hat, den die Kommission am 23. Juli 1996 vorgelegt hat. Dieser Bericht enthält detaillierte Angaben über die tatsächliche Berechnung des Ausgleichs und soll eine einheitlichere Auslegung dieser Vorschrift erleichtern (vgl. Urteil Honyvem Informazioni Commerciali, Randnr. 35). So werden in diesem Bericht verschiedene Faktoren angeführt, die bei der Billigkeitsprüfung in der Praxis zu be-rücksichtigen sind und von denen einige für einen höheren Ausgleich sprechen.

23 Im Licht dieser Erwägungen ist daher festzustellen, dass der Gestaltungsspiel-raum, über den die Mitgliedstaaten verfügen, um den dem Handelsvertreter bei Vertragsbeendigung zustehenden Ausgleich aus Billigkeitsgründen gegebenenfalls an-zupassen, nicht dahin ausgelegt werden kann, dass dieser Ausgleich ausschließlich nach unten angepasst werden darf. Denn eine solche Auslegung von Art. 17 Abs. 2 Buchst. a zweiter Gedankenstrich der Richtlinie, die es ermöglichte, jede Erhöhung dieses Ausgleichs von vornherein auszuschließen, wäre eine Auslegung zum Nach-teil des Handelsvertreters, dessen Vertrag endet.

24 Daraus folgt, dass die in Randnr. 9 des vorliegenden Urteils dargelegte deutsche Rechtsprechung, die es von vornherein ausschließt, dass der Ausgleich im Rahmen der Anwendung des Billigkeitskriteriums bis zur Höhe der in Art. 17 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie festgelegten Obergrenze erhöht wird, wenn die dem Unternehmer verbleibenden Vorteile höher sind als die geschätzten Provisionsverluste des Handelsvertreters, fehlgeht.

25 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er nicht erlaubt, dass der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters von vornherein durch seine Provisionsverluste infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses begrenzt wird, auch wenn die dem Unter-nehmer verbleibenden Vorteile höher zu bewerten sind.

Zur zweiten Frage

26 Mit seiner zweiten Frage möchte das nationale Gericht wissen, ob Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass, falls der Unternehmer einem Konzern angehört, auch die den Konzerngesellschaften zufließenden Vorteile zu den Vorteilen des Unternehmers gehören und damit bei der Berechnung des Ausgleichs-anspruchs des Handelsvertreters zu berücksichtigen sind.

27 Für die Auslegung von Art. 17 Abs. 2 Buchst. a erster Gedankenstrich der Richt-linie ist zunächst auf den Wortlaut der Bestimmung abzustellen.

28 Insoweit ist festzustellen, dass sich diese Bestimmung ausschließlich auf die Vertragsbeziehungen „Kunden/Unternehmer“ und die Vorteile des „Unternehmers“ aus den Geschäften mit diesen Kunden bezieht. Die am Wortlaut von Art. 17 Abs. 2 Buchst. a erster Gedankenstrich der Richtlinie orientierte Auslegung führt daher zu der Schlussfolgerung, dass nach dieser Bestimmung Vorteile Dritter bei der Berechnung der „Vorteile des Unternehmers“ nicht berücksichtigt werden dürfen.

29 Diese Auslegung – ausschließlich die Beziehung zwischen dem Unternehmer und dem Handelsvertreter zu berücksichtigen – wird durch die systematische Auslegung dieser Bestimmung bestätigt.

30 Die in Art. 17 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie vorgesehene Obergrenze des Ausgleichsbetrags wird nämlich anhand der vom Handelsvertreter erhaltenen Vergütungen berechnet. Wie die italienische Regierung vorgetragen hat, werden die Vergütungen, auch wenn der Unternehmer einem Konzern angehört, stets ausschließlich vom Unternehmer und nicht von den anderen Konzerngesellschaften bezahlt.

31 Schließlich ist festzustellen, dass die Richtlinie nach ihrem zweiten Erwägungs-grund die Sicherheit des Handelsverkehrs und damit die Rechtssicherheit auf dem Gebiet der Handelsvertretung fördern soll. Dieses Ziel schließt es grundsätzlich aus, Vorteile Dritter zu berücksichtigen, wenn das Vertragsverhältnis zwischen dem Unternehmer und dem Handelsvertreter dies nicht vorsieht. Es ist Sache des nationalen Gerichts, den Handelsvertretervertrag insoweit nach dem anwendbaren nationalen Recht zu beurteilen.

32 Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass, falls der Unternehmer einem Konzern angehört, die den Konzerngesellschaften zufließenden Vorteile grundsätzlich nicht zu den Vorteilen des Unternehmers gehören und damit bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters nicht notwendig zu berücksichtigen sind.

Kosten

33 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1. Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter ist dahin auszulegen, dass er nicht erlaubt, dass der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters von vornherein durch seine Provisions-verluste infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses begrenzt wird, auch wenn die dem Unternehmer verbleibenden Vorteile höher zu bewerten sind.

2. Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie ist dahin auszulegen, dass, falls der Unter-nehmer einem Konzern angehört, die den Konzerngesellschaften zufließenden Vor-teile grundsätzlich nicht zu den Vorteilen des Unternehmers gehören und damit bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters nicht notwendig zu berücksichtigen sind.

 

EuGH: Ausgleichsanspruch nicht auf die Provisionsverluste zu begrenzen

Gericht

EuGH

Aktenzeichen

C-348/07

Datum

26.03.2009

Vorinstanzen

Rechtsgebiet

Handelsrecht, Europarecht

Schlagworte

Handelsvertreter, Ausgleichsanspruch, Provision, Konzern

Leitsätze

1. Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter ist dahin auszulegen, dass er nicht erlaubt, dass der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters von vornherein durch seine Provisionsverluste infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses begrenzt wird, auch wenn die dem Unternehmer verbleibenden Vorteile höher zu bewerten sind.

2. Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie ist dahin aus-zulegen, dass, falls der Unternehmer einem Konzern angehört, die den Konzerngesellschaften zufließenden Vorteile grundsätzlich nicht zu den Vorteilen des Unternehmers gehören und damit bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters nicht notwendig zu berücksichtigen sind.

(gerichtliche Leitsätze)

Peinlich für die Anwaltschaft

Ein Handelsvertreter bemühte sich um den Ausgleichsanspruch. Was macht man am besten? Richtig, man sucht einen Anwalt auf. Besser noch zwei, am besten gleich drei.

Der Ausgleichsanspruch ist ein schwieriges Thema. Vielleicht wäre die Beratung des einen oder anderen Anwaltes sinnvoll, zu sagen, dass man einfach davon keine Ahnung hat. Dann wäre uns Anwälten folgende Geschichte erspart geblieben:

„Ich hatte hierzu drei anwaltliche Beratungen. Im ersten Fall wurden mir Ansprüche in Höhe von ca. 250 T€ in Aussicht gestellt, man wollte sofort den Honorarsatz danach bemessen. Im zweiten Fall überließ ich dem Anwalt alle Unterlagen im Original zur Prüfung. Zwei Wochen später war seine Kanzlei geschlossen. Meine Unterlagen habe ich inzwischen wiederbekommen, nach wochenlangen Recherchen über den Aufenthaltsort des Anwalts. Der dritte Anwalt legte den Streitwert auf ca. 100.000 € fest, erstellte die erste Honorrechnung und informierte mich schriftlich, das eine deratig hohe Forderung nicht durchzusetzen sei.“

Übrigens: Die Ansprüche bestehen und wären fast verwirkt.

§ 89 HGB benachteiligt den Versicherungsvertreter im Verhältnis zur Richtlinie des Rates der EG

Noch immer gibt es Unterschiede zwischen den Ausgleichsansprüchen,, die das HGB in §89 b regelt und  Art. 17 Absatz 2 der „Richtlinie des Rates der EG vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter.

Wir erinnern uns: Weil das HGB der Richtlinie widersprach (die alte HGB-Regelung verlangte vor dem 5.8.2009 „Provisionsverluste“ des Handelsvertreters) hatte die Bundesregierung im Handumdrehen § 89 b HGB umgeschrieben.

Damit wurden aber nicht alle ungleichen Regelungen beseitigt. § 89 b Abs. 5 S. 2 HGB sagt: „Der Ausgleich des Versicherungsvertreters beträgt abweichend von Absatz 2 höchstens drei Jahresprovisionen oder Jahresvergütungen.“

Artikel 17 schreibt von fünf Jahresprovisionen. Ist die Ungleichbehandlung des Versicherungsvertreters gerechtfertigt? Die Norm könnte bald wieder auf dem Prüfstand stehen.

Artikel 17

(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen dafür, daß der Handelsvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses Anspruch auf Ausgleich nach Absatz 2 oder Schadensersatz nach Absatz 3 hat.

(2) a) Der Handelsvertreter hat Anspruch auf einen Ausgleich, wenn und soweit

– er für den Unternehmer neue Kunden geworben oder die Geschäftsverbindungen mit vorhandenen Kunden wesentlich erweitert hat und der Unternehmer aus den Geschäften mit diesen Kunden noch erhebliche Vorteile zieht und

– die Zahlung eines solchen Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit diesen Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, daß zu diesen Umständen auch die Anwendung oder Nichtanwendung einer Wettbewerbsabrede im Sinne des Artikels 20 gehört.

b) Der Ausgleich darf einen Betrag nicht überschreiten, der einem jährlichen Ausgleich entspricht, der aus dem Jahresdurchschnittsbetrag der Vergütungen, die der Handelsvertreter während der letzten fünf Jahre erhalten hat, errechnet wird; ist der Vertrag vor weniger als fünf Jahren geschlossen worden, wird der Ausgleich nach dem Durchschnittsbetrag des entsprechenden Zeitraums ermittelt.

c) Die Gewährung dieses Ausgleichs schließt nicht das Recht des Handelsvertreters aus, Schadensersatzansprüche geltend zu machen.

Ist § 89 b HGB mit dem europäischen Recht vereinbar?

Ist § 89 b HGB mit dem europäischen Recht vereinbar? Zumindest war § 89 b HGB bis 2009 damit unvereinbar.

Der EuGH hatte die Begrenzung des Ausgleichsanspruchs bei Handelsvertretern gemäß § 89 b HGB alter Fassung auf die Höhe der verlorenen Provisionsansprüche für europarechtswidrig hält ( EuGH 26.3.09 C-348/07) Das Gericht sieht darin einen Verstoß gegen die EU-Handelsvertreterrichtlinie (86/653/EWG), auf der §89 HGB basiert und die einem Handelsvertreter einen Ausgleich gewährt, wenn der Unternehmer das Vertragsverhältnis beendet.

Bei der Umsetzung der EU-Handelsvertreterrichtlinie haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, für den Handelsvertreter entweder nach Art. 17 Abs. 2 einen Ausgleichsanspruch oder nach Art. 17 Abs. 3 einen Schadenersatzanspruch zu schaffen. Deutschland hat sich für die erste Möglichkeit entschieden. Nach Art. 17 Abs. 2a der EU-Handelsvertreterrichtlinie hat der Handelsvertreter einen Ausgleichsanspruch, wenn und soweit

– er für den Unternehmer neue Kunden geworben oder die Geschäftsverbindungen mit vorhandenen Kunden wesentlich erweitert hat und der Unternehmer aus den Geschäften mit diesen Kunden noch erhebliche Vorteile zieht und

– die Zahlung eines solchen Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit diesen Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht.

Nach Art. 17 Abs. 2b der EU-Handelsvertreterrichtlinie ist der Ausgleich ebenfalls gedeckelt. Er darf nicht höher sein als der Jahresdurchschnittsbetrag der Vergütungen, die der Handelsvertreter während der letzten fünf Jahre erhalten hat; ist der Vertrag vor weniger als fünf Jahren geschlossen worden, wird der Ausgleich nach dem Durchschnittsbetrag der entsprechenden Zeitraums ermittelt.

Nach Art. 17 Abs. 2c der EU-Handelsvertreterrichtlinie schließt die Gewährung des Ausgleichs nicht das Recht des Handelsvertreters aus, Schadenersatzansprüche geltend zu machen.

Der EuGH hatte klargestellt, dass die von der deutschen Rechtsprechung vertretene Begrenzung des Ausgleichsanspruchs der Höhe nach auf die Provisionsverluste nach § 89 b Abs. 1 S. 1 Nr.2 HGB alter Fassung gegen Art. 17 Abs. 2a) der Handelsvertreterrichtlinie verstößt und damit europarechtswidrig ist (Tz. 9, 24 der Entscheidung).

Der EuGH weist ausdrücklich darauf hin, dass die Richtlinie „insbesondere die Interessen der Handelsvertreter gegenüber den Unternehmen schützen soll“ und dass dieser Schutz nach Art. 17 zwingendes Recht ist.

Der EuGH stellt weiter klar, dass Vorteile Dritter bei der Berechnung der „Vorteile des Unternehmers“ grundsätzlich nicht berücksichtigt werden dürfen – es sei denn, dass dies ist im Vertragsverhältnis zwischen Unternehmer und Handelsvertreter vorgesehen ist (Tz. 31 der Entscheidung). Dies wird damit begründet, dass die Richtlinie ihrem Sinn und Zweck nach die Sicherheit des Handelsverkehrs und damit die Rechtssicherheit auf dem Gebiet der Handelsvertretung fördern soll.

EU-Richtlinien sind so in nationales Recht umzusetzen, dass sie eine optimale Wirkung (sog. „effet utile“) entfalten, damit der vereinheitlichende Sinn und Zweck des Gemeinschaftsrechts nicht gefährdet wird. Diesem Prinzip dient auch die richtlinienkonforme Auslegung, die neben die nationalen Auslegungsregeln tritt. Nationale Auslegungsspielräume sind nach dem Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszufüllen (Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 25, Rn. 9).

Grundsätzlich haben EU-Richtlinien keine unmittelbare Wirkung, sondern müssen von den Mitgliedstaaten innerhalb einer bestimmten Frist durch eine nationale Regelung umgesetzt werden. Man kann sich aber dann auf eine EU-Richtlinie berufen, wenn diese nicht innerhalb der angemessenen Frist umgesetzt worden ist und die entsprechende Richtlinienregelung inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist, um in Einzelfall angewendet zu werden.

EuGH: Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters auch bei schuldhaftem Verhalten

Mit Urteil vom 28.10.2010 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Rechtsposition des Handelsvertreters gestärkt. Ein Ausgleichsanspruch kann danach dem Handelsvertreter auch dann zustehen, wenn der Unternehmer im Nachgang zu einer ordentlichen Kündigung ein schuldhaftes Verhalten des Handelsvertreters feststellt.

Besteht der Verdacht, dass ein Handelsvertreter seine Pflichten nicht erfüllt, ist der Unternehmer gut beraten, dem nachzugehen und erst dann, wenn sich der Verdacht bestätigt, dem Handelsvertreter (fristlos) zu kündigen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass er seinem Vertreter trotz schuldhaften Verhaltens einen Ausgleichsanspruch zahlen muss.

Dies ist die Konsequenz eines EuGH-Urteils vom 28.10.2010, das im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Vorlage durch den Bundesgerichtshofs (BGH) erging.

In der Sache ging es darum, dass ein Autohersteller den Vertrag mit einem Autohändler, auf den die Bestimmungen des Handelsvertreterrechts analog Anwendung finden, ordentlich angekündigt hat. Erst nach Zugang der Kündigung erhielt der Unternehmer Kenntnis von einem schuldhaften Verhalten des Händlers, das auch eine fristlose Kündigung gerechtfertigt hätte.

Der Vertragshändler machte nun den Ausgleichsanspruch geltend, während der Hersteller diese mit der Begründung verweigerte, das Verhalten des Handelsvertreters hätte schließlich auch eine fristlose Kündigung gerechtfertigt.

Die Sache landete vor dem BGH, der die Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegte.

In Rede stand u.a., ob gemäß der Handelsvertreterrichtlinie (86/653/EWG) ein Ausgleichsanspruch ausgeschlossen ist, wenn – wie hier – der Arbeitgeber nach einer ordentlichen Kündigung Kenntnis von Umständen erhält, die auch eine fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten.

Der EuGH verneint dies. Art. 18 lit.a der genannten Richtlinie verlange, dass zwischen dem schuldhaften Verhalten des Handelsvertreters bzw. Vertragshändlers und der Entscheidung des Unternehmers, den Vertrag zu beenden, ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Dies werde aus dem verwendeten Wort „wegen“ in Art.18 lit.a deutlich. Auch die Entstehungsgeschichte der Richtlinie spreche für diese Interpretation. So hatte die Kommission ursprünglich einmal vorgeschlagen, den Ausgleichsanspruch auszuschließen, wenn der Unternehmer das Vertragsverhältnis wegen eines vertragswidrigen Verhaltens des Handelsvertreters „gekündigt hat oder hätte kündigen können“. Der Passus „hätte kündigen können“ sei aber eben gerade nicht übernommen worden. Ebenfalls verweist der Gerichtshof in seiner Begründung darauf, dass in allen Sprachfassungen die gleiche Präposition verwendet werde („wegen“) und die Bestimmung (als Ausnahme eines Ausgleichsanspruchs) eng auszulegen sei.

Erfährt der Unternehmer daher erst nach einer ordentlichen Kündigung, dass er auch fristlos hätte kündigen können, geht dies zu seinen Lasten. An dem Ausgleichsanspruch, den er seinem Handelsvertreter zu zahlen hat, ändert dies nichts.

 

OLG Frankfurt bejaht Anspruch auf Buchauszug und Ausgleichsanspruch

Am 18.09.2012 entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main, dass einem Vermögensberater ein Buchauszug zustehe, der zu enthalten hat:

a)      Name des Versicherungsnehmers und/oder Vertragspartners sowie Geburtsdatum

b)      Police- und/oder Versicherungsschein-Nummer

c)      Art und Inhalt des Vertrages (Sparte, Tarifart, Prämien oder provisionsrelevante Sondervereinbarungen)

d)      Jahresprämie

e)      Vertrags- und/oder Versicherungsbeginn

f)       Bei Lebensversicherungsverträgen: Versicherungssumme, Eintrittsalter des Versicherungsnehmers und Laufzeit des Vertrages

g)      Bei Lebensversicherungsverträgen mit Dynamisierung zusätzlich: Erhöhung der Versicherungssumme, Zeitpunkt der Erhöhung und Erhöhung der Jahresprämie

h)      Im Falle von Stornierung: Datum der Stornierung, Gründe der Stornierung und Art der ergriffenen Bestandserhaltungsmaßnahmen

Außerdem wurde ein Vertrieb zur Zahlung eines Handelsvertreterausgleiches gemäß § 89 b Abs. 1 und 5 HGB verurteilt.

Dieses Urteil ist teilweise nicht rechtskräftig. Der Vertrieb wandte sich dagegen im Rahmen der Revision. Der Bundesgerichtshof hatte dann das bahnbrechende Urteil aufgestellt, wonach der Ausgleichsanspruch anhand der Grundsätze geschätzt werden darf. In diesem BLOG wurde darüber bereits mehrfach berichtet.

Das Verfahren wurde dann anschließend an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Das Oberlandesgericht entschied neu und anschließend ging die Angelegenheit abermals in die Revision wegen der Frage, ob Rückstellungen, die in das Versorgungswerk vorgenommen werden, auf den Ausgleichsanspruch anzurechnen sind.

Der Bundesgerichtshof meinte dann, dass grundsätzlich eine solche Anrechnung zulässig sei.

Mit dieser Maßgabe ging nunmehr das Verfahren zurück zum Oberlandesgericht. Dort wird nunmehr eine weitere Entscheidung erwartet. Zwischenzeitig hatte der Vermögensberater aufgrund des erhaltenen Buchauszuges nachberechnen können und die Forderung entsprechend nach oben anpassen können.

Eine Entscheidung ist noch nicht ergangen.